Ein Dürrenmatt im 97-Mix

■ Bisher fiel das ehrgeizige Sat.1-Großprojekt "German Classics" doch eher lau aus. Nicht so die Neuverfilmung von "Es geschah am hellichten Tag" (Sa., 20 Uhr, Sat.1)

Heute wollte der Mädchenmörder wieder zuschlagen. Er stolpert auf der Suche nach der kleinen Annemarie mit seiner Kasperlpuppe durch den Wald. Wird er sie töten? Wird der Kommissar aus der Großstadt das Leben des Mädchens schützen können? „Es geschah am hellichten Tag“ heißt der Film, dessen Ende hier nicht verraten werden soll – dessen Geschichte den meisten Zuschauern aber trotzdem bekannt sein dürfte.

Die Grundlage, der Roman „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt, stammt aus den fünfziger Jahren, ebenso eine hervorragende Verfilmung mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe in den Hauptrollen. Warum in aller Welt sollte sich jemand dann ein Sat.1- Remake ansehen, noch dazu, wenn er weiß, wie farblos die bisherigen „German Classics“ waren? Nun ja, einfach, weil es sich lohnt.

Wer ein Fan der alten Verfilmung ist, wird den neuen Film (Regie: Nico Hofmann) auch mögen. Denn er äfft das große Vorbild nicht bloß nach – angereichert lediglich mit unvermeidlichen Zugeständnissen an die „schnelleren“ Sehgewohnheiten –, sondern zeigt eine veränderte Perspektive der bekannten Geschichte. Die Drehbuchautoren Uwe Wilhelm und Bernd Eichinger (letzterer auch Produzent aller „Classics“) haben auf das Originaldrehbuch Dürrenmatts zurückgegriffen und so den grundsätzlichen Handlungsablauf, auch einige Dialoge, beibehalten. Daneben haben sie eigene Ideen eingearbeitet, die den Krimi moderner, aktueller und für heutige Verhältnisse glaubhafter machen.

So ist der Kommissar Matthäus des Joachim Król ein ganz anderer Mensch als der Rühmannsche Matthäi. Jener war ein etwas eitler, arroganter Polizist, niemals von Versagensängsten geplagt. Dieser ist ein verletzlicher Mann, der einer verzweifelten Mutter bei seiner Seligkeit versprochen hat, den Mörder ihrer Tochter zu fassen und seither keine Ruhe mehr findet. Er steckt tief drin im Karrieresumpf des LKA, ausgesetzt seinen tumben oder mobbenden Kollegen, und ist schließlich bei der Jagd nach dem Mörder auf sich allein gestellt. Mit der Haupthandlung verwoben ist noch eine angedeutete Romanze zwischen dem Beamten und der Mutter des potentiellen Opfers. Bei Dürrenmatt so zwar nicht vorgesehen – aber gut. Denn auf diese Weise erscheint die Mutter (1997 hervorragend gespielt von Barbara Rudnik) längst nicht mehr so statisch wie ihre Fifties-Vorgängerin.

Es war schon ziemlich waghalsig von Sat.1, ein Remake dieses klassischen deutschen Kinokrimis zu wagen. Doch es hat sich gelohnt. Waren die bisherigen Classics mehr schlecht als recht geglückte Nachahmungen von Vorbildern, deren Ruhm längst verblaßt war und deren Themen heute mehr oder weniger belanglos sind, so könnte „Es geschah am hellichten Tag“ im 97-Mix durchaus selbst ein Klassiker werden. Endlich ein Film, der dem großspurigen Namen der Reihe gerecht wird. Stefan Kuzmany