■ Peru: Die Geiselnahme in der Residenz des japanischen Botschafters schließt ein Kapitel linker Geschichte ab
: Ein längst gescheitertes Projekt

Mit einem Paukenschlag haben sich die Tupac-Amaru-Rebellen (MRTA) in die peruanische Politik zurückgemeldet. Eine perfekt geplante und ebenso konsequent durchgeführte Geiselnahme hat die Macht des peruanischen Präsidenten Fujimori ins Wanken gebracht. Noch bleibt abzuwarten, ob die Besetzer sogar die Freilassung von inhaftierten Mitstreitern erreichen werden. Muß sich Peru auf ein Revival der Guerilla einrichten, während in Guatemala gerade der Friedensvertrag unterzeichnet wurde? Steht gar ein zweites Chiapas auf dem Programm? Wohl kaum. Alles spricht dafür, daß der Paukenschlag gleichzeitig Schlußakkord ist. Eine Guerilla, die nie wirklich politisches Gewicht hatte, verabschiedet sich mit dramatischem Gestus, während die politische Linke wie schon seit Jahren macht- und ratlos bleibt.

Wenn an der Geiselnahme von Lima etwas an Chiapas erinnert, dann die gelungene Inszenierung der Aktion für die Medien. Zeit und Ort waren sorgfältig ausgewählt, um maximales internationales Medieninteresse sicherzustellen. Die Guerilleros ließen zunächst einmal die Frauen frei und behandelten die Geiseln höflich: Eine Guerilla mit Manieren präsentierte sich da, die inzwischen sogar Fernsehteams eingeladen hat.

Chiapas steht für Aufbruch, die Geiselnahme in Peru für einen Abschluß. Konkret ist nur die Forderung nach Freilassung ihrer inhaftierten Mitkämpfer, alles weitere bleibt vage. „Laßt sie frei, und wir verabschieden uns“, scheint die Botschaft zu sein, sonst nichts.

Die Guerilleros dürften wissen, daß sie politisch längst gescheitert sind. Bis in die 90er hinein führten sie als Guerilla in der Tradition Che Guevaras nur ein Randdasein neben dem Kampf zwischen dem peruanischen Staat und dem Leuchtenden Pfad (Sendero Luminoso). Ebenso wie das breite und bunte Spektrum sozialer Organisationen war die MRTA zu einem Zweifrontenkrieg gezwungen: gegen den Staat und – defensiv – gegen Sendero Luminoso. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, verfolgte Sendero Luminoso doch alle, die sich nicht bedingungslos unterwarfen, als „Revisionisten“ mit seinen Mordkommandos.

Aber schon in den 80er Jahren, als Sendero Luminoso noch nicht so präsent war wie später, verkalkulierten sich die Guerilleros von der MRTA. Die demokratische Linke organisierte sich nicht um eine bewaffnete Guerilla, sondern im legalen politischen Spektrum. Seit 1980 regierte nach langen Jahren der Diktatur mit Fernando Belaunde wieder ein gewählter Präsident. Auch wenn die Menschenrechtsorganisationen in diesen Jahren viel Arbeit hatten, fehlten doch die Voraussetzungen, um etwa ein so breites Bündnis zu schaffen wie das in Nicaragua gegen die Diktatur Somozas, als letztlich von Bauern bis Bürgertum fast das komplette Land die Guerilla unterstützte.

Die peruanische Linke der 80er Jahre dagegen feierte mit der Vereinigten Linken (Izquierda Unida) ihre größten Wahlerfolge und stellte mit Alfonso Barrantes in Lima den Bürgermeister. Die bewaffneten Aktionen der MRTA verblieben demgegenüber unter „ferner liefen“, über eine nennenswerte soziale Basis verfügte die Guerilla nur im fernen Nordosten des Landes im Departement San Martin.

Die Herrschaft der traditionellen Parteien endete 1990 im Chaos. Alan Garcia und die große, alte Apra hinterließen vierstellige Inflationsraten, einen triumphierenden Leuchtenden Pfad und eine Bevölkerung in Weltuntergangsstimmung. Längst war der Punkt für die große Mehrheit der peruanischen Bevölkerung erreicht, Frieden um jeden Preis zu wollen. Die Parteien, ob rechts oder links, hatten gerade erst zehn Jahre lang bewiesen, daß sie dazu nicht in der Lage waren.

So war der Weg für eine autoritäre Lösung à la Fujimori frei. Und der starke Mann schaffte es: Die Sendero-Spitze wurde verhaftet – ebenso wie die der MRTA –, und Alberto Fujimori konnte sich über Jahre hinweg auf eine überwältigende Popularität stützen. Eigentlich müßte sich Fujimori beim Sendero-Führer Guzmán bedanken, denn erst dessen Radikalität machte die unumschränkte Herrschaft des Präsidenten Fujimori wirklich möglich. Seitdem haben militante politische Projekte in Peru nicht die geringste Chance auf öffentliche Unterstützung, zu tief sitzt die Erfahrung des Terrors der letzten Jahre. Die vorherrschende Stimmung lautet: bloß kein Risiko eingehen.

Zwar hat die neoliberale Wirtschaftspolitik Fujimoris die Massenarmut noch zunehmen lassen, aber die demokratische Linke täuscht sich, wenn sie glaubt, über das Armutsticket Fujimori politisch angehen zu können. Politisches Verhalten hat weniger mit statistischen Werten, als mit subjektiven Wahrnehmungen zu tun, und die peruanische Bevölkerung ist nach wie vor mehrheitlich der Auffassung, daß es politisch ruhiger und wirtschaftlich stabiler und damit insgesamt besser geworden ist als zuvor, auch wenn diese Stabilität auf einem außerordentlich niedrigen Niveau angesiedelt ist. Dazu kommt, daß die bekannteren Politiker der demokratischen Linken allesamt mit den Zuständen vor 1990 assoziiert werden – schlechte Voraussetzungen für ein politisches Comeback.

Die bislang so starke Position des Präsidenten ist auch der Grund dafür, daß eine Verhandlungslösung à la Guatemala nie anstand. Fujimori htte längst eine Amnestie für die MRTA-Führer erlassen können. Das politische Risiko wäre gering gewesen, ein Abkommen über das Ende bewaffneter Aktionen vorausgesetzt. Fujimori glaubte, dies nicht nötig zu haben. Er fühlte sich sicher, denn die Gesellschaft war nicht polarisiert, sondern stand hinter ihm. Die MRTA war sowieso immer das kleinere Problem, niemand rechnete mit einer neuen Aktion wie dieser. In Guatemala war den Beteiligten klar, daß es ohne Verständigung keinen Frieden geben kann. Fujimori war sich sicher, diesen Frieden bereits erzwungen zu haben – ohne irgend jemanden freilassen oder ins legale politische Leben integrieren zu müssen.

Und nun? Die Opposition – fast alle Fujimori-Gegner von rechts bis links – versucht immer wieder, sich zu organisieren, zuletzt 1995 um die Präsidentschaftskandidatur von Javier Pérez de Cuéllar. Keine leichte Aufgabe, wenn so unterschiedliche politische Kräfte nur in der Gegnerschaft zum Präsidenten einen gemeinsamen Nenner finden. Eine politische Linke als eigenständiger Akteur ist gegenwärtig kaum wahrnehmbar. Daran ändert auch die spektakuläre Geiselnahme nichts, wie auch immer sie ausgeht. Ulrich Goedeking