■ 600 Deserteure der Roten Armee mußten nach ihrer Flucht in Deutschland vor Geheimdiensten auspacken. Jetzt droht die Abschiebung
: In die Heimat, in den Knast

600 Deserteure der Roten Armee mußten nach ihrer Flucht in Deutschland vor Geheimdiensten auspacken. Jetzt droht die Abschiebung

In die Heimat, in den Knast

Manchmal fühlt sich Wadim Wladimirowitsch Kopylow ziemlich elend. „Ich lebe wie ein Gefangener, wie ein Hund an der Kette. Ich darf den Landkreis Bayreuth nicht verlassen, ich habe keinen Paß. Sechs Jahre warte ich schon auf meine Anerkennung als Asylbewerber, aber nichts tut sich. Das zermürbt mich und meine Familie.“

Der 31jährige hat schon bessere Zeiten erlebt. Der gebürtige Potsdamer, Sohn eines russischen Besatzungsoffiziers in der DDR, war Oberleutnant in der russischen Armee. Im Garnisonsstädtchen Burg bei Magdeburg befehligte Kopylow eine Kompanie. In der brach 1991 Unruhe aus, weil sich die Nachricht verbreitete, daß die Soldaten der „ruhmreichen Roten Armee“ zurück nach Rußland müssen, es aber dort keine Wohnungen für sie gibt. In Zelten sollten sie im harten Kaukasuswinter untergebracht werden. Es kam zu einer spontanen Soldatendemonstration, die von Wadim Kopylow heimlich gefilmt wurde. Das Videoband übergab er dem ZDF, das den Aufruhr prompt sendete.

Die Folgen für den aufsässigen Oberleutnant: „Ich wurde von Leuten der KGB-Sonderabteilung wegen Geheimnisverrat verprügelt, unter Arrest gestellt und sollte nach Wladikaukas abkommandiert werden. Dort, in der Kaukasusregion Südossetien zwischen Georgien und Tschetschenien, sollte ich im Bürgerkrieg eingesetzt werden. Aber ich wollte nicht auf alte Menschen, Kinder und Frauen schießen.“

Der Offizier beschloß, zu fliehen. „Es war sehr schwer für mich und meine hochschwangere Frau, aber ich hatte keine andere Wahl.“

Über Berlin kam Kopylow rasch nach Franken. Im Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wurde er tagelang von westlichen Geheimdiensten verhört, so wie vor ihm auch schon russische Politoffiziere und Raketentechniker. Der BND, der CIA und der britische Secret Service hatten großes Interesse an seinem Insiderwissen. Augenzwinkernd wurde ihm versichert, daß das mit seinem Asylantrag kein Problem wäre.

Doch das waren nur leere Versprechungen. Obwohl ihm wegen „Fahnenflucht und Staatsverrat“ bis zu 20 Jahren Straflager drohen – Fälle von Verurteilungen sind bereits bekannt –, wurde Kopylows Asylantrag im März 1996 ebenso abgelehnt wie der seiner Frau. Noch prozessieren sie gegen diesen Bescheid, aber der Tag der Abschiebung rückt immer näher. Die Angst vor der erzwungenden Ausreise bestimmt ihren Alltag.

So wie Kopylow ergeht es rund 600 Deserteuren in Deutschland. Nachdem ihre Asylanträge jahrelang auf Eis lagen, erhielten seit Anfang 1996 fast alle einen negativen Asylbescheid. Merkwürdigerweise flatterten den Betroffenen die Ablehnungen kurze Zeit nach dem Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl im Februar letzten Jahres bei Rußlands Präsidenten Boris Jelzin ins Haus. Heute fährt der Bundeskanzler erneut nach Rußland. Ob auch das Thema „Deserteure“ angesprochen wird, war gestern von offizieler Stelle nicht zu erfahren.

Mittlerweile ist Wadim Kopylow zweiter Vorsitzender des Vereins „Hoffnung“. In diesem Verein, der im August vergangenen Jahres gegründet wurde, haben sich ehemalige Militärangehörige der Westgruppe der Roten Armee zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu verteidigen. „Wir und unsere Familien wollen leben. Aber wir sind nur Aktenzeichen, keine Menschen. Es ist, als ob es uns nicht gibt. Wir sind vergessen“, sagt Wadim Kopylow.

Manche Deserteure waren selbst in Deutschland ihres Lebens nicht sicher. KGB-Abfangtruppen entführten sie, der Exfähnrich Oleg Rjabow wurde kurz nach seiner Flucht 1991 in Nürnberg gekidnappt.

Warum sie geflohen sind, begründen die Deserteure ausführlich. „Erstens haben wir aus Gewissensgründen Militäreinsätze gegen das eigene Volk abgelehnt und uns geweigert, mit dem russischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten, zweitens haben wir uns dem Waffenhandel verweigert. Drittens wird ein Soldat, der sich für Menschenrechte einsetzt, sofort gewalttätig behandelt“, heißt es es einer Erklärung des Vereins „Hoffnung.“

In der russischen Armee gäbe es eine grausame Kastenteilung: Jüngere Soldaten würden von älteren vergewaltigt, müßten als männliche Huren dienen, ihre Herren auf dem Rücken zur Toilette tragen und sich von Essensresten ernähren, die man ihnen übriglasse. Viele würden sich umbringen oder die Armee mit schweren seelischen Schäden verlassen.

Dennoch: Die Aussicht auf Haft wegen der Fahnenflucht ist für deutsche Behörden kein Asylgrund. Die Horrorberichte über russische Gefängnisse lassen die Entscheider und Richter kalt. Schon allein die Untersuchungshaft ist Folter, miserables Essen, Dreck, Läuse, zusammengepferchte Häftlinge, die mit Tbc- Kranken vermischt werden. Jeder Häftling hat nur 0,1 bis 0,2 Quadratmeter zur Verfügung, wegen Sauerstoffmangels lassen sich sogar Zündhölzer nicht anzünden. Die Sterberate in den Moskauer Gefängnissen ist sehr hoch: 207 Tote gab es 1994.

„Dorthin? Nie!“ mein Kopylow. „Wir wollen dem deutschen Staat ja nicht auf der Tasche liegen. Die Miete für unsere kleine Wohnung haben wir immer selbst bezahlt. Ich bin Ingenieur und arbeite bei einer Baufirma, meine Frau jobbt als gelernte Klavierlehrerin bei McDonald's. Wir kriegen nicht einmal Kindergeld vom deutschen Staat.“

Wegen des kalten Winters ist der Garagensanierer Wadim Kopylow derzeit arbeitslos. Zu Hause spielt er Gitarre, Klavier und Akkordeon. Russische Kultur und Religion werden gepflegt. Gerne würden sie auch einmal nach Erlangen in die nächste russisch-orthodoxe Kirche gehen, aber jährlich sind nur zwei Besuche über die Landkreisgrenzen hinaus erlaubt. „Gottlob bekommen wir manchmal eine Sondergenehmigung“, erzählt Kopylow. „Asylbewerber gelten als schlecht, gefährlich, diebisch. Wir wissen, daß das Unsinn ist, aber wir schämen uns für diesen Status. Hier können wir nicht bleiben, nach Rußland können wir nicht wieder zurück.“ Immerhin: Ein Hauch Optimismus bleibt. Die beiden Töchter Alesja und Christina wachsen zweisprachig auf. Und sollen hier eingeschult werden. Manfred Otzelberger