Eingepaukte Nostalgie

■ Wenn Lehrer schreiben: James Saunders' „Der Schulmeister“ lehrt im Altonaer Theater

Dem Mann scheint seine Rolle auf den verknöcherten Leib geschrieben. Mit aufgestelltem Zeigefinger und sarkastischem Lächeln ist Heinz Lieven schulmeisterlich durch und durch. Der Lehrer in James Saunders' Ein-Mann-Stück ist Pädagoge aus Überzeugung – leider. Didaktisch völlig unfähig, will er seinen Schülern die Eigenverantwortung des Menschen erklären. Und die Logik. Und die Evolutionsgeschichte. Und das alles geht schief.

Den Zuschauenden tun abwechselnd Schüler und Lehrer leid, und zwischendrin wirkt das Stück einfach absurd. Lieven schwallt als Schulmeister über „die natürliche Vernunft des Menschen“, während seine imaginären Schüler das Zimmer verlassen. Als der Ex-Chemielehrer James Saunders das Stück in den sechziger Jahren schrieb, surfte er auf der Empörungs-Welle über antiautoritäre Erziehung. Heute lädt sein Stück allenfalls ein, sich an die eigene Schulzeit zu erinnern – und sich zu freuen, daß man statt einer Schulbank den Theaterstuhl unter dem Hintern spürt.

Wenig später schiebt Wilhelm Busch den Schulmeister ohnehin in die Klassenzimmerecke: Als das Stück vorbei ist, liest Heinz Lieven Max und Moritz vor. Wen interessiert noch die Verzweiflung eines Chemiepaukers, wenn in Buschs Kinderbuch Lehrer Lempels Pfeife explodiert? Die Zuschauer rutschen tiefer in ihren Stühlen und Erinnerungen und kramen Sätze zum Mitmurmeln hervor. Als Max und Moritz in der Mühle verenden, erzeugt das mehr Mitgefühl, als wenn Der Schulmeister mit einem Herzschlag unter sein Pult gekippt wäre. Ein Abend, der mit „Ach ja, damals...“ überschrieben werden könnte. Und wer bekommt nicht gerne etwas vorgelesen?

Judith Weber