Dieses allmähliche Absiedeln

Hafenerweiterung vernichtet Arbeitsplätze: 50 Jobs auf Altenwerder Schiffswerft in Gefahr. Florierender Feinkost-Laden soll schließen. Die Stadt verschickt Kündigungen an Bewohner  ■ Von Heike Haarhoff

„Einmal nachtanken?“ Ein 20-Mark-Schein wechselt den Besitzer, die Kiste Astra auch. Walter Wülfken öffnet seinem Kunden die Ladentür. Streicht sich die wadenlange, weiße Schürze über dem Bauch glatt, guckt zwischen Persilkartons, Meisenknödeln und Groschenromanen durchs Schaufenster dem davonfahrenden Wagen hinterher.

„Der da“, plaudert der 68jährige Ladenbesitzer von „Feinkost Wülfken“, „kommt immer noch regelmäßig bei mir einkaufen. Wohnt jetzt in Finkenwerder.“ Der Blick wandert über die verschneite Brache mit den abgehackten Baumstümpfen auf der anderen Straßenseite des Altenwerder Elbdeichs. „So wie die meisten, die früher hier in Altenwerder gelebt haben“.

Spurlos sind sie verschwunden. Kaum war es der Stadt Hamburg Mitte der 70er Jahre unter Einsatz enormer psychologischer Druckmittel gelungen, nahezu allen der einst 2.000 Altenwerder Einwohner Haus und Grundstücke für die geplante Hafenerweiterung abzuschwatzen, ließ sie umgehend sämtliche Gebäude des Fischerdorfes abreißen.

Zu groß war die Angst vor Besetzung durch Gegner der Hafenerweiterung. „Die Mittelschule und der Fußballplatz“, erinnert sich Walter Wülfken, nach 20 Jahren noch kopfschüttelnd, „waren damals noch ganz neu.“

„Und jetzt“, sagt er, „geht's wieder los“. Bis 2001, so die offizielle Ansage, soll auch die letzte Handvoll Häuser in Altenwerder plattgemacht sein. „Es kann aber auch schneller gehen“, fürchtet der Geschäftsmann. Er und seine Frau gehören – neben dem Altenwerder-Grundeigentümer und -Kläger Werner Boelke – zu den wenigen Menschen, die weiterhin auf der Elbinsel leben und arbeiten. Haus und Grundstück haben auch die Wülfkens längst an die Stadt verkauft. Den Laden aber, das hat vor Jahren ein Gericht festgestellt, dürfen sie „noch so lange betreiben, wie hier Menschen zu versorgen sind“.

Den Talraum der Alten Süderelbe hinter der Kirche haben die städtischen Bagger bereits in eine Mondlandschaft verwandelt. Wieviele hundert Bäume und Sträucher in den vergangenen drei Monaten gefallen sind, seit das Oberverwaltungsgericht (OVG) in einer Eilentscheidung dem Ausbau des Hafens grünes Licht gab, vermag niemand nachzuzählen. Teiche wurden mit Lehm und Bauschutt trockengelegt, Deiche eingerissen, Spazierwege in tiefe Krater verwandelt.

Auf Hochtouren treibt die Wirtschaftsbehörde die „Vorbereitenden Maßnahmen“ voran, auf daß das Elbinsel-Biotop in einem gigantischen Containerterminal mit Kaimauern versinke.

Lebensmittelhändler Walter Wülfken erkennt sein Dorf, oder was von ihm übrig geblieben ist, kaum noch wieder. Neulich ließ die Stadt schon das Nachbarhaus der Wülfkens, ein städtisches Flüchtlingsheim, abreißen. „Wie das war ...“, sagt Walter Wülfken und dann nichts mehr.

1904 baute sein Großvater das Haus am Altenwerder Elbdeich. Nach dem Krieg übernahm Walter Wülfken den Laden. „Es ist schon irgendwie schwierig aufzugeben, was drei Generationen ernährt hat.“

Zumal das Lebensmittelgeschäft floriert. Feinkost Wülfken ist die lokale Informationsbörse. Angestellte der benachbarten Hafenunternehmen Eurokai, Hansaport sowie Arbeiter und Kunden der Altenwerder Schiffswerft holen sich hier früh morgens um sechs, wenn Walter Wülfken die Tür aufschließt, mit dem Auto ihre belegten Brötchen; „die besten weit und breit“, versichert der Händler, und er sage das nicht, „weil ich mich loben will.“

Was immer im Süderelberaum im allgemeinen und im Hafen im besonderen passiert, wird hier an der Ladentheke verhackstückt. „Eine Sauerei“ findet der Mann, der bei Hansaport arbeitet und gerade einen Flachmann und seine sonstigen täglichen Besorgungen erledigt, „daß die hier einfach drauflosbauen, obwohl das Gericht dem Boelke noch nicht mal ne schriftliche Urteilsbegründung geschickt hat.“

Ansonsten wird Altenwerder in den meisten Gesprächen ausgespart. Was sollte man auch reden? Jeder hatte seine guten Gründe, damals vor 20 Jahren zu verkaufen. Oder auch nicht. So wie der Bauer Schwartau, der klug war und bis zum vergangenen Jahr gewartet hat und dafür jetzt „über sechs Millionen von der Stadt kassiert hat“, wie ein Kunde zu berichten weiß. „Nicht mal die Äpfel hat der im letzten Herbst geerntet“, sagt Walter Wülfken. Denn, auch das wurde ihm aus verläßlicher Quelle zugetragen, „die Stadt hat ihm ja jetzt zum 1. April die Kündigung geschickt.“

Völlig unverhofft ist auch der benachbarten Altenwerder Schiffswerft der Rausschmiß per Einschreiben ins Haus geflattert. „Das war gleich ein paar Tage nach der Gerichtsentscheidung.“ Personalleiter Siegfried Syskowski kann seine Wut kaum unterdrücken. Die Stadt will, daß das seit Mitte der 80er Jahre hier ansässige Unternehmen Werkzeug, Hallen und Beschäftigte einsammelt und ebenfalls zum 1. April verschwindet. Anschließend soll auf der jetzigen Betriebsfläche das künftige Hafenbecken beginnen.

„Das schaffen wir überhaupt nicht“, klagt Syskowski. „Man muß sich das mal überlegen!“, ruft er dann: „Die Stadt gefährdet hier 50 Arbeitsplätze auf einer Werft, der es bislang gut ging!“ Denn die Umzugskonditionen auf ein Grundstück nach Wilhelmsburg, das die Wirtschaftsbehörde dem Unternehmen vorgeschlagen habe, „übersteigen unsere Kapazitäten“. Die dort geforderte Miete sei „horrend“. Ferner habe sich die Stadt „geweigert“, sich an den Kosten für „unverzichtbare“, sogenannte „Slipanlagen“ zum Raufziehen und Aufsetzen der kaputten Schiffe zu beteiligen. „Hier“, so Syskowski, „haben wir die Dinger natürlich, aber die kann man doch nicht mitnehmen.“ Doch die Stadt kennt kein Pardon. Spätestens im Frühjahr, erklärte Behördensprecher Wolfgang Becker kürzlich, werde mit den Arbeiten begonnen. Da helfen auch keine besseren Argumente. „Es wäre überhaupt kein Problem gewesen, das Hafenbecken um 100 Meter zu verschieben“, weiß der Personalleiter. Dann, teilte er schon vor Monaten der Stadt mit, hätte die Schiffswerft in direkter Nähe zum künftigen Containerschiffs-Terminal bleiben können. „Das “, sagt Walter Wülfken, „ist hier das Schizophrene.

Überhaupt sei es „dieses allmähliche Absiedeln allen Lebens“ von Altenwerder, das zermürbt. Wie zum Gegenschlag hat der Altenwerder Fischer Heinz Oestmann „Hände weg“ über das riesige Anti-Containerterminal-Wandbild an seiner Garage gesprüht. Unbeeindruckt setzt die Stadt ihr Drohgebaren fort. Mutwillig und großräumig hat sie alle Natur zerstören lassen, die ihr bis zum Einsetzen der eisigen Temperaturen in den Weg kam. Ohne zu ahnen, wie sie das Milliardenprojekt Hafenerweiterung je finanzieren soll, und ohne zu wissen, wie die Gerichte später über die Klagen letztendlich entscheiden werden. Bislang basiert alles auf einer juristisch wackeligen Eilentscheidung des OVG.

„Wenn das hier vorbei ist“, sagt Walter Wülfken, „will ich auch nicht mehr. Dann setze ich mich garantiert zur Ruhe.“