Schildkröten im engen Korridor

■ Mit einem Sender verfolgen Forscher die Wanderung der Lederschildkröten

Noch gibt es Lederschildkröten. Mit gut zwei Meter Länge und über einer halben Tonne Gewicht sind sie die größten Schildkröten der Welt. Doch man sieht nicht viel von ihnen: Nur zur Eiablage suchen die in tropischen und subtropischen Meeren beheimateten Riesen das Land auf. Ansonsten bewegen sie sich vorzugsweise einige hundert Meter tief im Ozean. Zum Atmen allerdings müssen sie für einen Moment an die Oberfläche kommen. Wurde ihr Panzer, wie dies kürzlich der amerikanische Wissenschaftler Stephen Morreale und seine Kollegen bewerkstelligten, mit einem kleinen Radiosender verbunden, genügt dies kurze Luftholen, um mittels Satellit ein Signal aufzufangen. So läßt sich der Wanderweg der Lederschildkröten verfolgen.

Im Wissenschaftsmagazin Nature berichteten die Forscher von bemerkenswerten Ergebnissen: Obwohl den Schildkröten bei ihrem Aufbruch von den Eiablageplätzen am Strand von Costa Rica die Weite des Pazifischen Ozeans offensteht, bewegen sie sich ausschließlich auf einem wenige hundert Kilometer schmalen Korridor in südwestlicher Richtung auf die Galapagosinseln zu und daran vorbei.

Noch ist unklar, was die Lederschildkröten zu ihrer Wanderung veranlaßt, oder wie sie sich in der Tiefe des Pazifik orientieren. Vielleicht sind ihre Wege durch Strömungen beeinflußt, oder die Tiere suchen gezielt bestimmte Nahrungsgründe auf. Bis zu 2.700 Kilometer weit konnten die Meeresbiologen die Lederschildkröten verfolgen und damit mehr über ihren Verbleib nach Verlassen der Nistplätze in Erfahrung bringen als jeder andere zuvor.

Möglicherweise kann solche Forscherneugier den immer seltener werdenden Tieren durchaus nützen: Bemühungen zum Schutz der urtümlichen Reptilien beschränkten sich bisher ausschließlich auf die zur Eiablage aufgesuchten Strände. Über das Leben der schon lange auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten stehenden Tiere im Meer war fast nichts bekannt.

Lederschildkröten gelten als Indikatororganismen für die biologische Vielfalt in den von ihnen bewohnten Meeresgebieten. Ihr allmähliches Verschwinden deutet auf tiefgreifende Störungen des Ökosystems hin. „Die Leute sagen vielleicht, ,Ach, zumindest haben sie den ganzen Ozean als Lebensraum‘“, so Morreale. Mit der Entdeckung, daß die Wanderung der Schildkröten auf relativ enge Korridore beschränkt ist, wird diese Annahme fragwürdig. Die jetzt ermittelten Schildkröten-Straßen führen mitten durch kommerziell genutzte Fischfanggebiete. Für internationale Artenschutzkonzepte können diese Ergebnisse von größter Bedeutung sein. „Die zeitliche und räumliche Konzentration vieler Tiere in diesen Korridoren erhöht die Verwundbarkeit ganzer Populationen“, stellen die beteiligten Forscher fest, sie kann aber auch Schutzmaßnahmen vereinfachen, wenn die menschliche Nutzung dieser Meeresgebiete zu genau definierbaren Zeiträumen eingeschränkt wird. Wiebke Rögener