■ Ruandas Völkermordprozeß: Die Todesstrafe ist Mord
: Mörderische Selbstbestimmung

Die Afrika-Experten erweisen sich als blutrünstig. Erst hat Cap-Anamur-Humanist Rupert Neudeck, dann taz-Afrika-Redakteur Dominic Johnson an dieser Stelle unverblümt die Todesstrafe für die wegen Völkermordes verurteilten Angeklagten aus Ruanda gefordert. Neudeck kritisierte vor allem die unterschiedlichen Kriterien zwischen ruandischer nationaler Justiz und internationalem Völkermordtribunal. Während erstere die Todesstrafe verhängen kann, ist sie beim internationalen Tribunal nicht vorgesehen – mit dem Ergebnis, daß die hochrangigsten Täter der Todesstrafe entgehen, während die unteren Chargen hingerichtet werden. Freilich, das System stinkt.

Dominic Johnson zieht in seinem Kommentar zu den ersten Todesurteilen in Ruanda die fatale Konsequenz: Alle umbringen, auch wenn vielleicht in Ruanda das eine oder andere nicht so ganz rechtstaatlich zugehen mag. Was, die Angeklagten hatten keine Verteidigung? Egal, an die Wand mit ihnen. Und daß bloß nicht der arrogante Westen daherkommt und anderen Völkern sagt, wie sie zu empfinden haben. Wer umgebracht wird und wer nicht, das sollen sie doch selbst entscheiden. Einverstanden. Dann aber konsequent. Dann keine Heuchelei mehr, keine offenen Briefe wegen verfolgter Schriftsteller im Iran, dann keine Appelle mehr zur Einhaltung der Menschenrechte in China, dann keine Empörung mehr über die Unterdrückung in Indonesien. Mörderische Selbstbestimmung allerorten, irgendwo gibt es immer ein gesundes Volksempfinden, das „Knüpft sie auf!“ ruft.

Es würde in Ruanda niemand verstehen, schreibt Johnson, „daß Leute, die für den kaltblütigen Mord an unzähligen Menschen und für die versuchte Ausrottung einer Volksgruppe verantwortlich sind, in diesem bitterarmen Land den Rest ihres Lebens auf Staatskosten im Gefängnis verbringen sollen und dann vielleicht viel länger leben als die Überlebenden des Völkermordes draußen“. Wer so schnell bereit ist, den Grundsatz der Ächtung der Todesstrafe aufzugeben, der soll zum Thema Menschenrechte schweigen. Menschenrechte sind unteilbar, oder sie sind sinnlos. Die Ermordung eines Mörders bringt genau jene Art von Genugtuung, die den nächsten Mord provoziert. Eine Gesellschaft, die irgendwann damit aufhört, sich gegenseitig umzubringen, ist so nicht zu erreichen. Nirgends. Die Urteile in Ruanda vom vergangenen Freitag sind staatlich organisierter Lynchmord – ein fataler Schritt in die falsche Richtung. Bernd Pickert