Kleinere Hoden, weniger Spermien

■ Neue finnische Studie zeigt: Nur noch ein Viertel der Männer können normale Anzahl Spermien produzieren

Berlin (taz) – Eine drastische Veränderung männlicher Fortpflanzungsorgane in einem Zeitraum von zehn Jahren haben finnische Wissenschaftler festgestellt. Kleinere Hoden und verengte Samenleiter sind dafür verantwortlich, daß bei einer zunehmenden Anzahl von Finnen die Zeugungsfähigkeit eingeschränkt ist. Nur noch gut ein Viertel aller getesteten Probanden können normal Spermien produzieren. Das zeigt eine Studie der Universität von Helsinki, die am Wochenende im British Medical Journal veröffentlicht wurde. Daß die Anzahl zeugungsfähiger Spermien immer weiter abnimmt, darauf hatten in den letzten Jahren schon mehrere Untersuchungen aufmerksam gemacht. Die Methode dieser Untersuchungen war jedoch strittig, da man lediglich Spermien untersucht hatte. Die finnischen Wissenschaftler führten jetzt erstmals den Nachweis, indem sie im Abstand von zehn Jahren die Fortpflanzungsorgane von jeweils 264 verstorbenen Männern untersuchten. Das Ergebnis: Der Anteil der Männer über 35, die eine normale Spermienproduktion aufwiesen, ging von 56,4 auf 25 Prozent zurück.

Ursache für die verminderte Zeugungsfähigkeit sind nach den Ergebnissen der Studie dünnere Samenleiter und deutlich kleinere Hoden. Wogen die Hoden der Testpersonen 1981 im Schnitt noch 18,9 Gramm, waren es 1991 nur noch 17,8 Gramm. Die geschrumpften Hoden der verstorbenen Testpersonen könnten weder durch Rauchen noch durch den Genuß von Alkohol oder anderen Drogen erklärt werden. Die Mediziner der Universität Helsinki hatten Freunde und enge Angehörige der Toten nach den Lebensgewohnheiten der Verstorbenen befragt.

1992 hatten andere Wissenschaftler eine Studie veröffentlicht, die einen Rückgang der Spermienzahl bei Männern in den vergangenen 50 Jahren zeigte. Die Untersuchung basierte allerdings allein auf der erneuten Auswertung von Daten freiwilliger Samenspender. Die Aussagekraft solcher Erhebungen ist unter Wissenschaftlern umstritten, da lediglich Anzahl und Qualität der Spermien erfaßt wurden. Allein mit diesen Daten sind körperliche Veränderungen nicht feststellbar. So war unter anderem nicht berücksichtigt worden, zu welcher Tageszeit die Spender ihren Samen abgegeben hatten. Auch fehlten Angaben über die sexuelle Aktivität der Spender. Von all diesen Faktoren ist bekannt, daß sie nicht unerheblichen Einfluß auf die Samenproduktion haben. Die Vergleichbarkeit der über Jahrzehnte gesammelten Daten war somit nicht gegeben. Außerdem war die Mehrzahl der in der Studie berücksichtigten Spender sehr jung.

Die finnische Studie dagegen, deren Testpersonen mindestens 35 Jahre alt waren, zielt darauf, durch die Prüfung älterer Samenspender mehr Rückschlüsse auf die Ursache für die schwindende Qualität und Quantität der Samen zu erzielen. Hintergedanke: Ältere Männer sind Umweltbelastungen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt gewesen.

Seit der Studie von 1992 tobt ein wissenschaftlicher Streit, ob Umweltchemikalien für die Einschränkung der Zeugungsfähigkeit verantwortlich sein könnten. Vor allem in der Umwelt immer häufiger auftretendene künstliche hormonähnliche Substanzen sollen die „Männlichkeit“ gefährden, wird vermutet. Das Umweltbundesamt hat 1995 ein bislang nicht abgeschlossenes Forschungsprojekt begonnen, um die Wirkung von Umweltchemikalien auf die Zeugungsfähigkeit zu überprüfen. Hermann-Josef Tenhagen