Raviolireflexionen

■ Kopfrumoren und Fußnoten: Zsuzsanna Gahses Berufswürdigung „Kellnerroman“

Der Buchtitel zeigt unmißverständlich an, um welchen Berufsstand die Gedanken kreisen. Den Roman hat sich die Autorin allerdings nur im Kopf ausgedacht, aufgeschrieben hat sie ihn nicht. Fußnotentexte hat Zsuzsanna Gahse ihre Prosa einmal genannt, und es finden sich tatsächlich 30 Hochzahlen im Text. Nun könnte man querfeldein durch den Text reisen, von Fußnote 1 zu Kapitel 1 springen, bei der nächsten Hochzahl wieder abbrechen und woanders weiter Switchen. Aber auch bei konventionellem Zeilengang zerrinnen unweigerlich die Gedanken. Häppchenweise fährt's sich hier besser.

Unter freiem Himmel geschieht nichts in diesem Text, immer klirren die Gläser, raunen die Gespräche, wird die Bedienung herangewinkt, wird Wechselgeld herausgegeben. Iso und Ferdinand heißen die beiden Kellner, für die die Ich-Erzählerin distanzierte Bewunderung hegt. Dabei müßte eigentlich mehr im Gange sein, denn immerhin lebt und arbeitet sie mit ihnen zusammen, in einer winkligen Mühle und in einem Schweizer Speiselokal. Die Ich-Erzählerin nimmt gelegentlich Bestellungen auf, meistens nimmt sie aber die Rolle des Stammgastes ein. Kellner und Gäste treten in ein Netzwerk von Geschichten, trinken Campari und Cappuccino, essen Lachs und Ravioli. Ununterbrochen rumoren im Kopf der Erzählerin kunst(un)sinnige Reflexionen, wie etwa darüber, ob alle Frauen im Restaurant ein Panorama bilden, aber auch gastronomische Wahrheiten werden präsentiert: „Werden die Plätze zu entgegenkommend angeboten, bleibt das Restaurant leer.“ Auf den letzten Seiten wird das Restaurant richtig voll, denn Starautoren wie Richard Sennett und Jossif Brodskij besuchen es. Brodskij erkennt: „Eine gute Sache, das Abwaschen. Manchmal hilft das ungeheuer.“

Mit schlichtem Vokabular und einfachen Sätzen schreitet der Text voran. Dennoch verzerren sich die Gedanken von Beginn an zu befremdlichen Sujets, so daß sprachliche Gegenbilder mit unserer Wahrnehmung konkurrieren. Dabei verrennt sich sie querdenkende Autorin allzu oft in einen unverbindlichen Tonfall, der der bereits im Entwurf angelegten bizarren Komik abmildernd entgegenwirkt. Unterschwellig ist dieser experimentellen Prosa ein Tragödien wachrufendes Nicht-anders-Können zu vernehmen, das selbst dann weitermacht, als Selbstmord begehende Kellner das personale Umfeld ihres Bekanntenkreises verstören. Aber verstören will die Prosa nicht, viel lieber möchte sie der Wirklichkeitsfolie eines Kellner-Alltags literarische Anerkennung verleihen.

Stefan Pröhl

Zsuzsanna Gahse: „Kellnerroman“. Europäische Verlagsanstalt 1996. 158 Seiten.