Schizophrene Ton-Ekstasen

■ Die Schauspielerin Isis Chi Gambatte über die Arbeit an Hanna Kulentys erster Oper

Am Anfang war der Ton. Erst im Herzrhythmus, dann schneller und schneller. Das Wort kam später. Bevor Text oder Handlung feststanden, hatte Hanna Kulenty die Musik ihrer Oper The Mother Of Black-Winged Dreams fertig. Ihr Freund Paul Goodmann erdachte die passende Geschichte dazu. Den Schauspielerinnen und Sängerinnen blieb es überlassen, beides zu verbinden.

Die Aufgabe fiel nicht leicht. Drei Kilo Bücher habe sie sich geholt, als sie die Rolle bekommen habe, erzählt die Schauspielerin Isis Chi Gambatte. Alle zum Thema Multiple Persönlichkeit, denn davon handelt The Mother of Black-Winged Dreams. Erzählt wird die Geschichte der depressiven, als Kind sexuell mißbrauchten Clara. Um der Depression zu entkommen, will sie sich nun die Pulsadern aufschneiden, doch im Moment des Schnitts spaltet sich ihr Bewußtsein in vier neue Persönlichkeiten und verhindert den Selbstmord.

Isis Chi Gambatte spielt eine der abgespaltenen Persönlichkeiten. Ihr dunkler Haarwust verschwindet dafür unter einer blonden Perücke, wie sie auch die anderen Akteurinnen tragen. Alle haben die gleichen Schuhe an, die gleichen biederen Röcke. Nur die Aufdrucke auf den T-Shirts unterscheiden sich. Was nach Austauschbarkeit klingt, trägt laut Chi Gambatte zum Gegenteil bei: „Durch das gleiche Aussehen kommen Unterschiede erst richtig zur Geltung. Schließlich sind die Rollen völlig verschieden.“

Unterschiedlich ist auch die Art, wie sich die Künstlerinnen auf den Auftritt vorbereiten. Zwar probt die Gruppe gemeinsam, aber das Training zwischen den Proben ist jedem selbst überlassen. Isis Chi Gambatte hat ihre eigene Technik entwickelt, um auf der Bühne zu überzeugen: P.P.T nennt die Brasilianerin sie und bringt sie seit September auch anderen Interessierten bei. In zwei Zimmerchen an den Landungsbrücken ist Deutschlands erstes Performance-Studio entstanden.

In wöchentlichen Kursen können Neugierige lernen, wie es sich am effektivsten performt – mit einer Mischung aus bewußter Körperkontrolle und dem, was Chi Gambatte Körpergedächtnis nennt. „Ich schaue mir an, welche Bewegungen ein Mensch sowieso macht. Die verstärke ich dann“, erklärt Chi Gambatte. Woher die Idee zu dieser Technik genau kommt, weiß sie selbst nicht. Beeinflußt haben sie ihr Tanzstudium in Dakar und die Schauspiel-Ausbildung in Amsterdam und New York. Und „die Atemtechnik habe ich Karate-Meistern abgeguckt“, lacht sie.

Isis Chi Gambatte ist aufgeschlossen und neugierig. An der Kölner Musikhochschule hatte sie einen Lehrauftrag für Jazzgesang, aber „nur unterrichten, das war nichts für mich.“ Dann lieber selbst Musik komponieren, ein Buch über Performances schreiben und Rap-Texte dichten. Oder Herausforderungen annehmen wie das Singen und Spielen in The Mother Of Black-Winged Dreams.

Heikel bei Kulentys Oper ist nicht nur das Thema. „Die Gruppe ist nicht sehr homogen“, sagt Chi Gambatte. Tänzer arbeiten mit Schauspielern und Sängern, und das alles zu Neuer Musik, gespickt mit Bandaufnahmen von Wasserfällen. „Für manche Sänger war das ungewohnt“, erzählt die Künstlerin. „Aber ich stehe auf Technik.“ Gemeint sind Töne, aufgewiegelt bis zur Ekstase, und Klangfetzen, die sich ständig wiederholen.

So sollen die Zuhörer Claras Qualen begreifen, ohne daß über sexuellen Mißbrauch oder multiple Persönlichkeiten diskutiert wird. „Wir analysieren das Thema nicht“, erklärt Chi Gambatte. „Wir wollen, daß das Publikum sich beklommen fühlt.“ Trotzdem hätte sie gerne mehr mit den anderen Darstellerinnen diskutiert. Schließlich bleibt am Ende das Wort, um der Betroffenheit, die der Ton erzeugt hat, Luft zu machen. Judith Weber

Opera Stabile, 7./8./10./11. Januar, 20 Uhr