Süß, 17 und Sieger

■ Thoma siegt in Bischofshofen, doch die Vierschanzentournee gewinnt Primoz Peterka

Nach dem Aufsprung blieb Primoz Peterka nicht mehr viel Zeit. Flugs befreite er sich von seinen Skiern und schlüpfte durch das schmale Loch im Bretterzaun in die rettenden Arme der Polizisten. Der Stadionsprecher hatte versucht zu retten, was zu retten ist: „Seien Sie vernünftig, bleiben Sie diszipliniert.“ Doch die Stimme wurde von der lauten Musik einfach verschluckt. Längst waren die ersten kopfüber oder auf dem Hosenboden die steile Piste runtergekugelt. Wer seinem Liebling möglichst nahe sein will, muß eben etwas riskieren.

Primoz Peterka ist ein angehender Popstar – und er ist der beste Springer der Welt, nachdem er gestern nachmittag in Bischofshofen Dritter wurde und damit die Vierschanzentournee für sich entschieden hat. Den Grundstein hatte er mit einem 125-m-Sprung im ersten Durchgang gelegt. Beziehungsweise Konkurrent Andreas Goldberger hatte ihn gelegt, mit einem verpatzten Sprung.

Der Deutsche Dieter Thoma gewann mit 125 und 126 Metern vor dem Polen Malysz und ist damit noch Tournee-Dritter geworden. Das ist ein Erfolg. Oder auch nicht. Als sich Thoma vor der Jahreswende beim ersten Springen der Vierschanzentournee am weitesten über Oberstdorf hinauskatapultierte, glaubte nicht nur er, sondern die ganze Bundesrepublik, daß Thoma ganz aus dem Schatten des Vorjahressiegers Jens Weißflog hüpfen könne. Dabei war eigentlich klar, daß auch dieser Winter wieder anderen gehört: Primoz Peterka, SK Kranj, Slowenien und trotz eines weiteren zweiten Platzes: Andreas Goldberger, SC Waldzell, Österreich.

Sie sind die zwei, die mehr sind als Springer. Weil sie sich abheben von den bleichen Milchgesichtern, die jahrelang wie Maschinen von der Schanze sprangen. Volkshelden sind sie geworden, die Mädchenherzen erobern, Typen. Goldi, der Sonnyboy; Primoz, der Draufgänger. Für jeden Geschmack ist etwas dabei, ähnlich wie bei den weltbekannten Boygroups in der Musikbranche.

Bei Goldberger ist das alles kein Zufall mehr. Mit Edi Federer hat er sich einen geschickten Manager angestellt, der aus ihm so etwas wie den Mehmet Scholl Österreichs macht. Seine erste Biographie hat er mit 24 Jahren bereits veröffentlicht und vor kurzem auch die erste CD besungen. Die Öffentlichkeit wird mit Informationen überhäuft. Der echte Fan weiß inzwischen nicht nur, daß der Österreicher im vergangenen Jahr an die zwei Millionen Mark eingeschoben hat, sondern auch, daß er immer noch Single ist. Beim Springen in Garmisch machte ihm ein weiblicher Fan einen Heiratsantrag. Da kann Thoma nicht mithalten, er ist schon 27, verheiratet und hat ein Kind.

Auch Primoz Peterka ist auf dem besten Weg, ein ganz Großer zu werden, nicht nur sportlich. Schon jetzt begleiten den Slowenen eine beachtliche Anzahl von Journalisten, damit man in der Heimat keine Heldentat versäumt. Einen eigenen Fanclub hat er auch schon, eine ganze Blaskapelle postiert sich bei der Vierschanzentournee auf der Tribüne. Die Zeichen der Pubertät sind noch nicht ganz aus seinem Gesicht verschwunden, und bei der Pressekonferenz blickt er manchmal hilfesuchend zu seinem Trainer. Primoz Peterka ist erst 17 Jahre alt. Doch wenn er droben auf dem Siegerpodest sein süßestes Lächeln aufsetzt und die Arme in den Himmel streckt, wird es ziemlich laut in den Reihen der Bewunderer. Manchem Beobachter wird dieses Phänomen allerdings unerschlossen bleiben. Was, fragte etwa die FAZ, „was hat ein Skispringer, was ein anderer Mann nicht hat“? Nina Klöckner