Gebetsrufe? - Ja bitte!

■ Oft regt sich örtlicher Widerstand gegen den Bau von Moscheen. Für Riza Baran, Abgeordneter der Bündnisgrünen, sind sie notwendige Selbstverständlichkeit

taz: Soll es in Deutschland mehr Moscheen geben mit Minaretten, von denen aus am Freitag und an den islamischen Feiertagen zum Gebet aufgerufen werden kann?

Riza Baran: Die ImmigrantInnen aus der Türkei kommen zumeist aus ländlichen Gebieten und sind dementsprechend mehr oder weniger religiös. Ich selber bin 1963 nach München gekommen, wo ich zu arbeiten und zu studieren begann. Damals gab es einen Gebetsraum in der Dachauerstraße, wo sich die Menschen aus der Türkei versammelt haben. Der Imam stammte aus den damaligen Sowjetrepubliken, war im Exil. Das war ein Gebetsraum im Hinterhof, und schon damals wurde zaghaft darüber diskutiert, eine richtige Moschee bauen zu lassen. Viele sagten jedoch, daß sie sowieso nicht lange hierbleiben würden, der Raum wäre ausreichend. Diejenigen, die schon damals die Absicht hatten, länger hier zu sein, wollten eine richtige Moschee.

Diese Diskussion wiederholt sich heute vielerorts...

Ja, zum Beispiel auch hier in Berlin. Die Diskussion ist jetzt so weit, daß am Kolumbiadamm anstelle der kleinen Sehitlik-Moschee eine größere gebaut wird. Für mich ist die Moschee das Zeichen dafür, daß man hierbleiben will und wird. Man will sich nicht mehr mit Gebetsräumen im Hinterhof begnügen. Die Moschee ist nicht nur ein zweckmäßiges Gebäude, sondern sie dient auch der Repräsentation nach außen. Ich finde das gut. Und zur Moschee gehört eben das Minarett.

Die Diskussion findet auch zwischen den islamischen Gemeinden und der Mehrheitsbevölkerung statt, die dem Moscheebau nicht immer wohlwollend gegenübersteht.

Ich denke, wir befinden uns alle in einer Übergangsphase, sowohl wir Migranten als auch die Deutschen. Wir haben gemerkt, daß wir hierbleiben werden, und die Deutschen sagen: „Nanu, die wollen ja tatsächlich hierbleiben.“ In der Ausländerpolitik ist vieles falsch gelaufen, sie ist immer noch darauf ausgerichtet, daß die Ausländer eines Tages zurückkehren.

Aber ist denn nicht spätestens seit Mitte der 80er Jahre klar geworden, daß die Mehrheit der „Gäste“ hierbleiben wird?

Das ist ja gerade der Widerspruch der deutschen Politik. Schon 1979 gab es das Kühn-Memorandum, das eindeutig besagte, daß Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Wir haben beispielsweise erreicht, daß es eine Aufenthaltsberechtigung gibt. Diese Art von Erlaubnis war ein deutliches Zeichen für die Seßhaftigkeit der Menschen. Den Deutschen wurde von der Regierung aber nie klar gesagt, daß diese Menschen bleiben werden. Sie bleiben und wollen auch ihre Moscheen haben. Das ist ihr gutes Recht.

Hat die Moschee nicht einen doppelten Symbolcharakter: Erstens als Zeichen für die Seßhaftigkeit, die Integration der Menschen in Deutschland, und zweitens als ein sichtbares Symbol für das Abweichende, für die Andersartigkeit ihres Glaubens?

Für mich ist sie ein eindeutiges Zeichen für die Seßhaftigkeit. Die Menschen wollen nicht nur ihre Moscheen, sondern auch ihre Friedhöfe. Ich werde als Politiker tagtäglich mit diesen Dingen konfrontiert. Die deutsche Seite macht fast regelmäßig Probleme dabei. Die Moschee würde das Stadtbild stören, den Verkehr beeinträchtigen etc. Das sind alles nur vorgeschobene Gründe, um den Bau nicht zu erlauben.

In Duisburg hat der örtliche evangelische Pfarrer Anzeigen in der Lokalpresse geschaltet, in denen er gegen den Islam als eine „falsche Religion“ wetterte und die Gemeinde gegen den Bau der Moschee mobilisierte. Hat Samuel Huntington mit seinem Krieg der Zivilisationen recht?

Die Zeit der christlichen Missionierung ist vorbei. Von der Entwicklung der Menschheit her sind wir inzwischen soweit, uns alle gegenseitig zu akzeptieren. Es ist Unsinn, einen Kulturkampf anzufangen, der uns allen schaden würde.

Warum finden die Leute keinen Anstoß an dem Gebetsraum im Hinterhof, aber wohl an der sichtbar als Gotteshaus gekennzeichneten Moschee?

Wir leben in einer Zeit, in der die Kirchen leer sind, auf der anderen Seite aber die Moscheen sich füllen. Der Neid ist nicht zu übersehen. Außerdem waren die Christen jahrhundertelang hier unter sich.

...wenn man einmal von den Juden absieht...

...das ist auch ein Konkurrenzkampf, den wir durchstehen müssen. Wir dürfen nicht angesichts des Widerstandes von deutscher Seite aus jetzt aufgeben und uns zurückziehen. Neben der Freiheit, sich zu seinem Glauben öffentlich zu bekennen, bestimmt das Grundgesetz in Artikel 4 auch, daß durch den Staat die ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird. Eine sichtbar im öffentlichen Bewußtsein vorhandene Moschee zeugt nicht nur von Emanzipation der Muslime, sondern bewirkt auch eine Immunisierung gegen Radikalisierungstendenzen. Einen Hinterhof betritt man nicht mit erhobenem Kopf. Radikale können unbeaufsichtigt agitieren. Gerade wenn man will, daß die gemäßigten Muslime sich nicht ausgegrenzt fühlen und nicht zuletzt deshalb extremen Tendenzen gegenüber empfänglich sind, müßte man die Bereitschaft aufbringen, dem Islam auch optisch im Stadtbild einen Platz einzuräumen, der ihm, gemessen an der Zahl der Muslime in Deutschland, auch zusteht.

Gibt es in Ihrer Partei auch Andersdenkende, die Vorbehalte gegen die Etablierung islamischer Einrichtungen haben?

Natürlich gibt es auch bei den Grünen welche, die die Religion nicht für unser Problem halten. Aber Religionsfreiheit ist eines der Hauptprinzipien der Demokratie, und sie gilt für jeden in diesem Land. Interview: Dilek Zaptçioglu