Aufforderung zu Grenzüberschreitungen

■ „traverse“ heißt eine neue mutwillige Zeitschrift für Querdenker aus der Schweiz

Traverse = Querbalken, Schwelle, Kämpferholz, sagt das Wörterbuch. Auch den Imperativ des Verbs „traverser“ = überschreiten, überqueren, könnte man herauslesen. In der Tat versteht sich traverse, eine neue Publikation des Zürcher Chronos Verlages, vor allem als ein Unternehmen der Grenzüberschreitungen, als eine „Zeitschrift für Geschichte“, die freilich die Pfade zünftischer Historie auf vielen Wegen verläßt. Das Konzept: mehrsprachige Einzelhefte mit Themenschwerpunkten, ergänzt um feste Rubriken und einen Rezensionsteil, der neben allgemeinen Neuerscheinungen wichtige „Literatur zum Thema“ vorstellt.

Bereits die ersten Schwerpunkte: „Drogen und Sucht“ – „Stadt entziffern“ – „Nation, Region, Identität“ – „Gewalt“ und „Biographien“ (geplant sind: „Kommunismus, Komintern und die Schweiz“ sowie „Bilder des anderen“) lassen erahnen, welche Grenzen hier zuallererst überschritten werden sollen: die zwischen Geschichte und Gegenwart. Historische Forschung nämlich, so ließe sich der politische Ansatz der Herausgeber umschreiben, speist sich auch aus den offenen und umstrittenen Fragen der Gegenwart. Wo diese aufbrechen, ist auch „Geschichte“ aufgefordert, sich einzumischen und ihre Ergebnisse zur Diskussion zu stellen. Ein Gedanke, dem die traditionelle Historikerzunft noch immer fremd gegenübersteht.

Was dies konkret heißen kann, zeigt schon die thematische Breite der ersten Nummer zum Thema: Saufen, Rauchen, Spritzen, Schlucken. Es spannt einen Bogen von der „Entstehung der Suchtgesellschaft“ über den „Internationalen Heroin-Schmuggelprozeß in Basel vom November 1931“ bis hin zur empirischen Analyse der „Drogenpolitik und Straßenkriminalität am Beispiel der Stadt Zürich oder der „Geschichte des Tabaks in Neuguinea“.

Am Anfang des Projekts stand die Idee, gerade jüngeren HistorikerInnen (und das heißt auch jenen, die am Rande des akademischen Betriebes stehen) eine Möglichkeit zu bieten, ihre Forschungen zu publizieren und unter der Rubrik „Debatte“ auch kontrovers zu diskutieren. Frauen – das machen etwa die Beiträge zum Thema „Stadt entziffern“ auf ebenso originelle wie wohltuend unaufdringliche Weise deutlich, stellen dabei manchmal andere Fragen als Männer: Wo wir – aus der Sicht des Historikers – mit dem folgenreichen Einfluß der Sozialdemokratie auf die Stadtplanung der Zwischenkriegszeit konfrontiert werden, lesen wir – aus der Feder von Frauen – über neue Versuche, „Stadt“ als eine „Geräusch- und Tonlandschaft“ beziehungsweise als ein „Ensemble visualisierter Konflikte“ zu dechiffrieren.

Ungewöhnliche Perspektiven gewiß – sie könnten aber gleichwohl ins Leere gehen, denkt man die provozierenden Thesen des Beitrags von Ursina Fauch und Bertram Ernst („Statt Stadt – Inseln, verbunden durch Zeitspannen“) über das Ende der „traditionellen Stadt“ zu Ende: Im „Zeitalter der totalen Kommunikation und Kabelvernetzung“ mutiere die „Stadt“ zu einer schwer faßbaren „urbanen Zone“: „Die Stadt“ hört räumlich auf zu existieren, wird „abgelöst durch ein Geflecht aus materiellen und immateriellen Verbindungen, aus Kabel- und Funkverbindungen“, die immer weniger lokalisierbar, sondern nur noch als Elemente einer „globalen Medien- und Kommunikationsstadt“ zu begreifen sind.

Mit traverse, so viel scheint gewiß, gewinnt ein Vorhaben Gestalt, das durchaus ein breiteres Publikum, auch jenseits der Grenzen der Schweiz, anzusprechen vermag. Vielleicht gerade deshalb, weil es die Bahnen etablierter Disziplinen verläßt, um sich, wie es die Herausgeber formulieren, zu öffnen für „die Beiträge derjenigen, die unterwegs sind, neue Territorien zu erkunden“. Werner Trapp

„traverse“. Zeitschrift für Geschichte. Revue D'Histoire. Dreimal pro Jahr im Chronos Verlag,Zürich. Einzelpreis 30 DM, Abonnement 75 DM