Hinter 60 Zentimeter Beton

Die Bedingungen, unter denen Guerillaführer Victor Polay in Peru einsitzt, sind exemplarisch für die Situation der MRTA-Häftlinge  ■ Aus Lima Ingo Malcher

Für die Monate Dezember und Januar sind den Gefangenen der Guerillaorganisation Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru (MRTA) alle Besuche von Angehörigen gestrichen worden. Auch dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurde der Zutritt zu den Knästen verwehrt. Eine Repressalie, nachdem ein Kommando der MRTA die Residenz des japanischen Botschafters in Lima seit Mitte Dezember besetzt hält. Die wichtigste Forderung der BesetzerInnen: die Freilassung aller 400 Gefangenen der MRTA.

Die Haftbedingungen der MRTA-Gefangenen stehen regelmäßig weit oben auf der Beschwerdeliste von Menschenrechtsorganisationen. Der MRTA-Chef, Comandante Victor Polay Campos, und zwei andere MRTA-Häftlinge werden einer Sonderbehandlung unterzogen, berichtet seine Mutter Otilia Campos de Polay im Gespräch mit der taz.

Mit rund 40 anderen türmte Victor Polay 1990, nur ein Jahr nach seiner Verhaftung, in einer spektakulären Aktion aus dem Gefängnis, wurde nach zwei Jahren erneut festgenommen und saß dann zuerst im Hochsicherheitsgefängnis Yanamayo in der Provinz Puno. Yanamayo liegt 4.000 Meter über dem Meeresspiegel und hat eine Temperatur von minus 15 Grad. Außer Polay sind dort noch andere MRTA-Mitglieder untergebracht. „Das Gefängnis liegt sehr weit weg von Lima. Um da hinzukommen, muß man mit dem Flugzeug fliegen, was sich viele Angehörige nicht leisten können“, erzählt Otilia Campos de Polay.

Als das Marinegefängnis in Lima fertiggebaut war, wurde Victor Polay dorthin verlegt. Doch zuvor wurde er nach Berichten seiner Mutter zusammen mit einem weiteren MRTA-Kommandanten, Peter Cardenaz, gefoltert. Beide bekamen Elektroschocks. Polay wurde außerdem die linke Schulter gebrochen. Im Flugzeug von Yanamayo nach Lima „öffneten ihre Bewacher eine Türe und drohten, beide lebendig aus dem Flieger zu werfen“, schildert Otilia Campos de Polay. Hinterher prahlten die Militärs, einer der beiden hätte sich vor Angst in die Hose gepinkelt. Am Flughafen in Lima angekommen, präsentierten sie die Gefangenen, wie es in Peru üblich ist, in einer Art Raubtierkäfig der Presse. Im peruanischen Fernsehen wurde später das frisch eingeweihte Marinegefängnis gezeigt: Die Zellenwände sind 60 Zentimeter dick.

Die Zelle Polays faßt zwei auf vier Meter, darin befinden sich Latrine und Bett. An der Decke ist ein 15 Zentimeter breites Loch, durch das Licht und Luft in die Zellen kommen sollen. In der Zelle gibt es kein Wasser, so daß Polay, immer wenn er die Toilette benutzt, einen Wärter bitten muß, daß der von außen auf den Spülknopf drückt. „In dieser Zelle verbringt Victor dreiundzwanzigeinhalb Stunden seines Tages“, so seine Mutter. Eine halbe Stunde Hofgang wird ihm täglich gewährt.

Von den anderen Gefangenen wird er abgeschirmt, auch die Wärter sprechen kein Wort mit ihm, sie sehen ihn noch nicht mal an. „Wenn man ein Tier so behandeln würde, würde es bald sterben“, meint Otilia Campos de Polay. „Nur Menschen können das überleben, da sie nicht sterben wollen.“

Viel besser als Victor Polay und den anderen MRTA-Gefangenen geht es derzeit dem einst meistgesuchten Mann Perus, dem ehemaligen Chef des maoistischen „Leuchtenden Pfades“, Abimail Guzman. Dank eines Friedensabkommens seiner Organisation – oder wenigstens des von Guzman vertretenen Flügels – mit der Regierung hat Guzman eine weitaus größere Zelle und kann den ganzen Tag im Hof verbringen, wenn ihm danach ist.

Ganze 14 Monate hat es gedauert, bis Otilia Campos de Polay ihren Sohn nach der Verlegung nach Lima besuchen durfte. Seither kann sie ihren Sohn jeden Monat 30 Minuten lang besuchen – hinter einer Trennscheibe, und die Stimmen sind nur über Lautsprecher zu hören. Die ganze Zeit stehen Wärter auf beiden Seiten und passen auf, daß die beiden nicht mit Gesten geheime Informationen austauschen. Politische Themen sind tabu. Wenn Polay Bücher ins Gefängnis gebracht werden, so achten drei Wärter streng darauf, daß politische Literatur draußen bleibt. Weder die Memoiren von Winston Churchill durfte er lesen – noch die peruanische Verfassung.

Unter denselben Bedingungen wie Polay haben auch Peter Cardenas und Lucero Cumpa, beide Kommandanten der MRTA, zu leiden. Andere MRTA-Gefangene sind mit 20 oder 30 Mithäftlingen in Zellen untergebracht, die für zehn Gefangene gebaut wurden. Auch sie können nur eine halbe Stunde am Tag auf den Hof. Viele von ihnen leiden an Tuberkulose und sind unterernährt.

Eine Besserung der Haftbedingungen ist nicht in Sicht. Beschwerden der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO und verschiedener Menschenrechtsorganisationen ließen Präsident Alberto Fujmori unbeeindruckt. Für Otilia Campos de Polay wäre es „ein Geschenk des Himmels“, wenn ihr Sohn das Gefängnis verlassen könnte. „Doch daran denke ich nicht, weil das nicht möglich sein wird.“