Geiselnahme in irischem Knast

■ Insassen fordern bessere Haftbedingungen. Das Justizministerium hatte mit so einer Situation gerechnet

Dublin (taz) – Die vier Wärter im Dubliner Mountjoy-Gefängnis, die am Samstag als Geiseln genommen wurden, sind noch immer in der Gewalt von sechs Gefangenen. Fünf der Geiselnehmer protestieren mit ihrer Aktion gegen Mißhandlung durch das Gefängnispersonal und verlangen eine Verlegung in andere Gefängnisse. Der sechste, der 32jährige Paul Ward, beteuert seine Unschuld und verlangt die Freilassung. Er ist angeklagt, an dem Mord an der bekannten Journalistin Veronica Guerin beteiligt gewesen zu sein. Guerin war im vorigen Juni erschossen worden, weil sie bei ihren Recherchen zu tief in den Dubliner Drogenhandel vorgedrungen war. Sie war mehrfach gewarnt und mit dem Tode bedroht worden. Der Mord hatte seinerzeit im In- und Ausland großes Aufsehen erregt.

Die Geiselnehmer sind mit Eisenrohren und einer blutgefüllten Spritze bewaffnet. Ward und zwei der anderen Gefangenen sind heroinsüchtig. Ein Justizbeamter meinte gestern, daß die Geiselnahme möglicherweise auf die Beschlagnahme eines Päckchens Heroin in der vergangenen Woche zurückzuführen sei. Normalerweise floriert der Heroinhandel in Mountjoy vollkommen unbeeinträchtigt, zahlreiche Gefangene behaupten, daß die Wärter daran beteiligt seien. Die Gefängnisleitung hat den Geiselnehmern am Sonntag den Heroinersatz Physeptone zur Verfügung gestellt. Der Labour-Abgeordnete Joe Costello forderte die Gefangenen auf, ihre Geiseln freizulassen, und versprach, die Beschwerden über Haftbedingungen ernst zu nehmen. Geiselnahmen in Gefängnissen seien in Irland bisher unbekannt gewesen, fügte er hinzu.

Ganz so überraschend kommt die Sache jedoch nicht: Das Justizministerium bastelt seit zwei Jahren an einem „Plan zum Umgang mit Geiselnahmen“. Offenbar rechnete man damit, daß so eine Situation entstehen könnte.

Die Haftbedingungen in Mountjoy – vor allem im Frauenflügel – sind erbärmlich, das Gefängnis ist hoffnungslos überfüllt. Immer wieder kommt es zu Selbstmorden von Gefangenen. Es sei wie in einem Schweinestall, sagte eine Schwester von Paul Ward gestern: „Menschen können unter solchen Bedingungen nicht leben.“ Das Justizministerium hat seinen „Managementplan“ am Sonntag aktiviert. Seitdem verhandeln Wärter mit Spezialausbildung rund um die Uhr mit den aufständischen Gefangenen. Ein Ende der Geiselnahme war gestern zunächst nicht abzusehen.

Die gefangengenommenen Wärter im schottischen Glenochil- Gefängnis sind dagegen wieder frei. Die drei Gefangenen, die am Sonntag früh zwei Gefängniswärter überwältigt und als Geiseln genommen hatten, gaben gestern früh ihre Aktion auf. Ralf Sotscheck