Auf der Suche nach dem bösen Wolf

Der frühere DDR-Spionagechef Markus Wolf steht heute in Düsseldorf erneut vor Gericht. Diesmal will ihn die Bundesanwaltschaft hinter Gitter bringen. Doch die Anklage ist wackelig  ■ Von Severin Weiland

Bei der Durchsicht der Anklageakten kommt dem Hamburger Anwalt Johann Schwenn stets ein Gedanke: „Markus Wolf setzt die Verfolgungsneigung des Generalbundesanwalts in besonderer Weise frei.“ In der Tat: Heute muß sich sein Mandant, der ehemalige Spionagechef der DDR, erneut dem Oberlandesgericht in Düsseldorf stellen.

Die Bundesanwaltschaft als Anklagebehörde hat keine Mühe gescheut, um den fast 74jährigen Markus Wolf doch noch hinter Gitter zu bringen. Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung wirft sie ihm in drei Fällen vor, die allesamt tief aus der Eiszeit des Kalten Krieges stammen.

Da ist zunächst die Entführung der Sekretärin Christa Trapp von West- nach Ost-Berlin 1955 durch einen Stasi-Agenten. Nachdem die Mitarbeiterin amerikanischer Militärbehörden sich geweigert hatte, gegen ihren Dienstherren zu spionieren, kehrte sie nach ein paar Stunden in den Westen zurück. Dort plauderte sie schließlich alles aus. Wolf, so lautet die Anklage, habe den Anwerbeplan der Sekretärin, die heute in den USA lebt und als Zeugin geladen werden soll, unterzeichnet.

Als besonderes Highlight präsentieren die Ermittler den Fall Georg Angerer, eines früheren Bekannten von Willy Brandt. Dieser wurde 1959 in der DDR ins Gefängnis gesteckt – auf Befehl Wolfs, wie dieser selbst einräumt. Angerer sollte unter dem Druck der Haft eine angebliche Gestapo- Mitarbeit von Brandt, damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin und Zielscheibe heftiger SED-Angriffe, bezeugen. Doch der frühere Schriftsetzer erwies sich als wertlos, wurde nach einigen Monaten auf freien Fuß gesetzt und verstarb später in hohem Alter in der DDR.

Zu guter Letzt hält die Bundesanwaltschaft Wolf die Entführung des Stasi-Oberleutnants Walter Thräne und seiner Geliebten vor. Beide waren 1962 nach Österreich gelockt und von dort in die DDR verbracht worden. Thräne, der sich von der Stasi abgesetzt hatte, wurde unter anderem wegen Fahnenflucht verurteilt und mußte zehn Jahre Haft absitzen.

Inbesondere den Fall Thräne hält Wolfs Anwalt Schwenn für ein absurdes Beispiel der Verfolgungsbemühungen der Bundesanwälte. Schon 1991 hatte die Staatsanwaltschaft II am Berliner Landgericht ein Verfahren gegen den Stasi-Chef Erich Mielke und andere eingeleitet. Zu Markus Wolf hieß es damals: Im Zusammenhang mit der Thräne-Entführung hätten keine „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ einer Beteiligung vorgelegen. Fünf Jahre später ist Wolf für die Ermittler um Generalbundesanwalt Kay Nehm der Hintermann derselben Nacht-und-Nebel-Aktion. Der Widerspruch zur Aussage des damaligen Berliner Verfahrens sage „schon einiges über die Qualität des Verdachts“ der Bundesanwaltschaft, lautet Schwenns Fazit.

Daß die Bundesanwaltschaft sich derart ins Zeug legt, ist in den Augen der Verteidigung nur mit ihrem Scheitern in den bisherigen Verfahren gegen Wolf zu erklären. Im Dezember 1993 hatte das Oberlandesgericht in Düsseldorf ihn wegen Landesverrats in drei Fällen und in Tateinheit mit Bestechung von sieben Personen zu sechs Jahren Haft verurteilt. Doch nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, daß hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi, die auf dem Gebiet der DDR gearbeitet hatten, weitgehend straffrei ausgehen, hob der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Wolf im Oktober 1995 auf.

Um diesmal zum Erfolg zu kommen, haben sich die Ankläger einer durchaus heiklen Rechtskonstruktion bedient. Denn sämtliche Taten, die Wolf zur Last gelegt werden, sind nach westdeutschem Recht verjährt. Waghalsig wurde nun auf das DDR-Strafrecht zurückgegriffen: Dort nämlich galt eine Strafe so lange nicht verjährt, wie sie aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden konnte. Weil bekanntlich „Taten von Amts wegen“ in der DDR niemals vor Gericht kamen, will die Bundesanwaltschaft das Versäumnis der DDR offenbar am Beispiel Wolf nachträglich ahnden.

Fraglich sind aber auch die einzelnen Fälle, vor allem der spektakuläre Erpressungsversuch Angerers. Dessen Vita war höchst dubios. Als antifaschistischer Kronzeuge, der von einem kommunistischen Geheimdienst mißbraucht wurde, dürfte sich Angerer kaum eignen. Zwar hatte er mit Willy Brandt in einer Emigrantengruppe in Norwegen zusammengearbeitet. Während aber Brandt nach der deutschen Besetzung nach Schweden floh, arbeitete Angerer mit Wehrmachtsbehörden zusammen. Als im Sommer 1948 die norwegische Justiz ein Verfahren gegen ihn eröffnen wollte – wegen Beteiligung an Folterungen von Häftlingen (einer starb 1943 an den Folgen der Torturen) –, war dieser nicht mehr im Lande. Offenbar hatten mangelnde Absprachen bei den norwegischen Behörden zu seiner Ausweisung nach Deutschland geführt. Den Fall Angerer, soviel steht fest, dürfte Wolfs Verteidigung genüßlich ausschlachten.