Wetterkapriolen nicht nur im April

■ Prof. Hans-Joachim Schellenhuber, Physiker und Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, zur extremen Kälte

taz: Alle Welt redet von der Klimakatastrophe, und Europa versinkt im Eis. Wie kommt's?

Schellenhuber: Eine globale Erwärmung kann sich nur über einen langen Beobachtungszeitraum von 30 bis 50 Jahren bemerkbar machen. Das schließt natürlich nicht aus, daß es Schwankungen und Ausreißer um diese großen Trends herum gibt. Insofern ist ein kalter Winter, der in diesen Breiten völlig normal ist und durchschnittlich alle acht bis zehn Jahre zu erwarten ist, nichts Aufregendes. Wenn man eine Rückschau vom Jahr 2010 machen würde, dann würde man feststellen: Im Winter 1996/97 und vielleicht auch 1998 gab es einen solchen Ausreißer, aber dann wurde es um so milder.

Aber sind solche Extreme nicht Ausdruck der Klimaveränderung?

Da gibt es Spekulationen. Die erste ist, daß die Kalt- und Warmextreme zunehmen, wenn sich das Klima insgesamt umstellt. Ich benutze gerne den Ausdruck „Aprilklima“: So wie im April Kalt- und Warmfronten sich abwechseln, so könnten wir auch jetzt mehr Wetterkapriolen erleben.

Und die zweite Spekulation bezieht sich auf den Golfstrom, der umkippen könnte?

Ja. Die Klimamodelle bestätigen immer mehr, daß die globale Erwärmung die Meeresströmungen völlig verändern könnte. Das ozeanische Strömungssystem mitsamt dem Golfstrom, das eine Art Warmwasserheizung für Europa darstellt, könnte ganz zum Erliegen kommen. Die Modelle sagen für diesen Fall eine mögliche Abkühlung von zehn Grad voraus. Das wäre eine echte Katastrophe, unsere Zivilisation wäre ernsthaft gefährdet. Bei zehn Grad weniger hätten wir hier eine völlig andere Natur. Nur: Die Modelle sagen das für den Fall einer Verdreifachung des CO2-Gehalts in der Luft aus; davon sind wir heute noch weit entfernt. Aber im Moment kann tatsächlich niemand sagen, in welchem Zustand sich die nordatlantischen Tiefenwasserströmungen befinden. Man kann nicht ausschließen, daß die globale Erwärmung dieses hochkomplexe System jetzt schon destabilisiert. Man kann es umgekehrt aber auch nicht empirisch nachweisen.

Gibt es weitere Spekulationen?

Ja. Eine bezieht sich auf das sogenannte „El Nino“-Phänomen. El Nino heißt die sehr warme Strömung vor der Küste Südamerikas, die oft zu Weihnachten einsetzt. Das Oberflächenwasser des Pazifik kriegt dann einen Drift Richtung Südamerika. In diesem Jahr ist dieses Phänomen sehr abgeschwächt – möglicherweise durch die stärkere Anreicherung der Erdatmosphäre mit CO2. Wir haben es hier überall mit hochkomplexen, chaotischen Systemen zu tun. Es wäre völlig töricht, wegen ein oder zwei kalten Wintern Entwarnung zu geben. Die achtziger Jahre waren die wärmsten in der Geschichte der Klimaaufzeichnungen. Interview: Ute Scheub