Ausländerbehörde im Bummelstreik

■ Die von CDU-Innenstaatssekretär Böse versprochene Bagatellstrafenamnestie für Vertragsarbeiter aus Vietnam droht am fehlenden Willen der Bürokraten zu scheitern

Ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam, Angola und Mosambik, die zu Bagatellstrafen bis maximal 50 Tagessätzen verurteilt wurden, haben bislang nur in Ausnahmefällen das versprochene Bleiberecht bekommen. Dabei hatte CDU Innenstaatssekretär Kuno Böse am 8. November 96 eine solche Regelung verkündet, die ihm Eckhardt Barthel vom Koalitionspartner SPD zäh abringen mußte. Bis dahin waren Berlin und Sachsen die einzigen Länder, die sich trotz einer Empfehlung von Bundesinnenminister Kanther (CDU) weigerten, Bagatellstraftäter zu amnestieren. Sachsen ist nach wie vor gnadenlos. Aber wie sieht es in der Hauptstadt heute wirklich aus?

Die 17jährige Hang lebt noch immer mit einer „Ausweisung“ in Marzahn, ihre Abschiebung ist beantragt. Und das nur, weil ihre Mutter 1991 kurzzeitig mit unverzollten Zigaretten handelte und zu 20 Tagessätzen verurteilt wurde. Die 9.-Klässlerin weiß noch immer nicht, ob sie in Deutschland die Schule abschließen, einen Beruf lernen und hier leben kann. Anwältin Petra Schlagenhauf hat sofort nach Inkrafttreten der Bagatellstraftatenamnestie eine Aufenthaltsbefugnis für Hangs Familie beantragt. Eile war geboten. Die Bleiberechtsregelung greift nämlich nur, wenn Hangs Mutter bis Ende März Arbeit findet. Und der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag müssen eine aufenthaltsrechtliche „Erfassung“ durch die Ausländerbehörde sowie eine Arbeits- oder Gewerbeerlaubnis vorausgehen. Aber die Zeit läuft. Wenn die Behörde wochenlang untätig bleibt, können kaum noch VietnamesInnen, AngolanerInnen und MosambikanerInnen kein Bleiberecht bekommen, weil sie in der verbliebenen Frist bis zum 31. März keinen Arbeitsvertrag mehr zustande kriegen. Und welcher Chef hält schon einen im November zugesagten Arbeitsplatz bis Februar frei? Bei Hang kommt hinzu: Das Mädchen wird bald 18 Jahre alt und erhält dann nicht mehr automatisch mit ihrer Mutter ein Bleiberecht.

Hangs Familie ist kein Einzelfall, weiß Anwältin Schlagenhauf. Nur einer ihrer Mandanten hat bisher eine „Erfassung“ bekommen, mit der er sich auf Arbeitssuche begeben kann, um doch noch von der Bleiberegelung profitieren zu können. Eine taz-Umfrage unter den AnwältInnen Karl Eberhardt, Dieter Kierzynowski, Ronald Reimann, Martin Rubbert und Petra Schlagenhauf ergab 25 betroffene Mandantenfamilien, von denen noch 24 auf eine „Erfassung“ warten. In vier Fällen gab es einen Zwischenbescheid der Ausländerbehörde, 20mal blieb die Behörde untätig. Anwalt Kierzynowski: „Uns sind die Hände gebunden. Erst wenn sich eine Behörde länger als drei Monate Zeit läßt, kann man auf Untätigkeit klagen.“

Die drei Monate wären am 8. Februar um. Dann blieben den VietnamesInnen nur noch sieben Wochen für Behördengänge plus Jobsuche. Das dürfte kaum zu schaffen sein. Für Innensenatssprecherin Françine Jobatey ist die Bagatellstrafenamnestie hingegen eindeutig. Die Behörde habe zwar noch nicht vermocht, alle Fälle abzuarbeiten, aber die Rechtslage sei klar zugunsten der Betroffenen. Wer bis Ende März einen Job finde, erhalte ein Bleiberecht. Dies gelte auch für AusländerInnen, denen zwischenzeitig eine Ausweisung ausgesprochen wurde.

Anwalt Ronald Reimann hat andere Erfahrungen. Der einzige Mandant, der bislang grünes Licht bekam, ist zugleich der einzige der 25 Betroffenen ohne Ausweisung. Die Ausländerbehörde, so Reimann, habe ihm erklärt, der innerbehördliche Diskussionsprozeß, ob nach der Böse-Weisung auch Ausweisungen zurückzunehmen seien, sei noch nicht abgeschlossen. „Außerdem wiesen die Sachbearbeiter darauf hin, daß meine Mandanten ja erneut straffällig geworden sind: Sie hielten sich ohne Aufenthaltstitel – und damit illegal – hier auf. Diese Straftat, so der Sachbearbeiter, falle eventuell nicht unter die Amnestie.“

Eckhardt Barthel von der SPD kann dies alles nicht nachvollziehen. „Die Amnestie ist ja gerade für Leute gemacht, die ohne Aufenthaltsrecht und in der Regel auch mit einer Ausweisung leben. Gerade diese Gruppe auszuschließen, ergäbe keinen Sinn.“ Bereits vor Weihnachten hatte er von den Problemen gehört und war sofort bei Kuno Böse vorstellig geworden. Der versprach, sich zu kümmern. Für Barthel war das Thema schon erledigt. „Jetzt muß ich mich wohl direkt an den Leiter der Ausländerbehörde wenden.“ Die Bagatellstrafenamnestie ist so gestrickt, daß ein Bummelstreik der Behörde viele Betroffene von einem Bleiberecht ausschließt. Marina Mai