Nachts paßt Wachhund Max auf

Handlungsreisender in Sachen Kommunikation: Der Global-Artist Rirkrit Tiravanija hat den Kölnischen Kunstverein als Asyl für Obdachlose umgestaltet und sich mittendrin sein New Yorker Apartment nachbilden lassen  ■ Von Jochen Becker

„Rund um die Uhr geöffnet!“ wirbt nicht nur die Telefon- Bank24, sondern auch der Kölnische Kunstverein. Laut Einladungstext soll „jeder jederzeit“ den Raum „kostenlos besuchen und nutzen können“. Insgesamt 175.000 Mark der Kölner Krankenversicherung Central erlaubten die Erweiterung der „üblichen institutionellen Öffnungszeiten“, so die Leitung des Kunstraums: „Während überall die Öffnungszeiten gekürzt werden, fahren wir sie in die Höhe; während überall die Eintrittspreise angehoben werden, öffnen wir ganz umsonst.“ Eine ausgeschilderte Nachtglocke aktiviert den Wärter – nachts mit Wachhund Max. Ansonsten ist Tag der offenen Tür – mit Ausnahme der 42 Stunden von Sonntag, 17 Uhr, bis Dienstag, 11 Uhr. Und so bleibt der Kunstverein halt doch Kunstverein und ist wie alle Kunsträume montags geschlossen.

Nun steht die langgestreckte Halle nicht einfach nur offen: In enger Kooperation mit dem Kunstverein will die ortsansässige Versicherung alle zwei Jahre einem „international renommierten, aber noch nicht fest etablierten Künstler“ die Möglichkeit geben, für ein halbes Jahr in Köln leben und arbeiten zu können, um so „vor Ort ein spezielles Projekt zu verwirklichen“ und zudem den „Kunststandort Köln“ fördern. Laut Versicherer verbindet das Sponsoringmodell also „nicht nur Künstler- und Institutionsförderung, sondern gibt auch dem städtischen Kontext Impulse“. Nicht von ungefähr fiel die Premiere mit der Kölner Kunstmesse zusammen, die sich im Standortwettbewerb gegen wachsende Konkurrenz aus Berlin wappnen muß.

Schneckenhaus mit Einbauküche

Das erstmals verliehene „artist-in- residence“-Stipendium nahm Rirkrit Tiravanija beim Wort und residiert in der Teilrekonstruktion seines New Yorker Apartments. Dieser ihm gleichsam als Schneckenhaus nachgereiste Raum steht inmitten des leergefegten, mit einigen Palmen notdürftig dekorierten Kunstvereins. Von außen als verkabelte Kulisse aus versteiften Holzplatten konstruiert und innen provisorisch wie eine konspirative Wohnung möbliert, bildet die sehr detaillierte Küche das Zentrum der Installation: Herd, Kühlschrank, Regale mit Lebensmitteln, Kochutensilien, Tisch und Stühle sind nutzbar und bleiben doch Artefakt im Rahmen des Gesamtarrangements.

Dem geselligen Künstler geht der Ruf voraus, stets auf Achse zu sein und beim jeweiligen Stop in einem Kunstraum für die Anwesenden zu kochen. Ein New Yorker Galerieraum diente ihm als Kochecke für Thai-Food, zur Eröffnung der Biennale in Venedig servierte er Nudeln, in Wien lud er ins Café Sacher zur Torte ein. Tiravanijas Kölner Arbeit befasse sich mit dem, „was über jede Sinnfrage erhaben ist“, nämlich Essen, Trinken, Schlafen, Reden, Leben.

Das übliche Essen mit Künstlern, Sammlern, Sponsoren und Kuratoren findet bei Tiravanija nicht anschließend, sondern während der Eröffnung statt: „Da hocken dann Künstlerkollegen und sehr viel junges Volk auf Gemüsekisten neben der kauenden Kritikerin, die nicht so schnell wie sonst mit dem Weinglas in der Hand verschwinden kann und sich in ein Gespräch verwickeln lassen muß“, wußte Spiegel-Extra zu berichten: Catering für den Kunstbetrieb.

1995 wurde die Sammlung Schürmann in der Münchner Hypo-Bank als „Das Ende der Avantgarde“ mit dem Untertitel „Kunst als Dienstleistung“ präsentiert, bei der auch ein nach Tiravanijas Anweisungen installiertes Selbstbedienungscafé aufgebaut wurde. Künstlerische Produktion hat sich parallel zum unternehmerischen Handeln in Bereiche vorgearbeitet, in denen Service und kulturelles Kapital zu betriebsentscheidenden Faktoren zählen. „Das Problem derartiger Modelle liegt also weniger darin, daß sie vielleicht nicht funktionieren, sondern gerade darin, daß sie funktionieren, wenn auch nicht im Sinne ihrer idealistischen Absichten“, beschrieb ein Kunstkritiker Tiravanijas Dienste. Wie nahe die Praxis von Künstlern und Versicherten in der Leerformel „Kommunikation“ beieinanderliegen, läßt ein Zitat aus der Firmenbroschüre des Kölner Sponsors erkennen: „Kunden erleben, aufmerksam zuhören, Erfahrungen austauschen, Empfindungen und Reaktionen spüren, miteinander argumentieren. Das Gespräch als Chance, Vertrauen zu schaffen, Kundenbeziehungen zu vertiefen, Rat zu geben, Probleme zu diskutieren und Lösungen zu finden.“

Die Kölner Rundschau sieht Tiravanija recht treffend als „Handlungsreisenden in Sachen Kommunikation“. In seiner Eröffnungsrede bemerkte Versicherungschef Hanns Baumeister, daß „Kunstwerke ein enormes kommunikatives Potential“ bergen. Wenn es sich wie bei Banken und Versicherungen um kaum anschauliche Wertschöpfung mit wenig innovativen Produkten handelt, dann entwickelt sich die wechselseitige Pflege von Kunst, Personal und Kunden zum operativen Kern. Laut Unternehmenssprecher Michael Gante ist der Kölner Central- Kunstpreis eine „ideelle Investition“, um so „das Leitbild der Firma – der Mensch im Mittelpunkt“ – abzubilden. „Menschen haben nur zu Menschen Vertrauen, nicht zu anonymen Institutionen und deren Stellvertretern in Form von Anzeigen, Werbespots, Druckstücken oder Formularen“, lautet die Firmenphilosophie.

Das Wirtschaftsmagazin Capital führt Tiravanija im „Capitalkompaß 1996“ auf Rang 153 und zählt ihn zu den „Nachrückern“: „Capital stellt die 20 aussichtsreichen Künstler vor, die ab Rang 101 den höchsten Punktezuwachs auf ihrem Konto verbuchen können. Bei ihnen dürfte die Aussicht auf Preissteigerungen am stärksten sein.“ In der Focus-Bestenliste schoß Tiravanija von null auf Platz 40, bei einer Preisspanne von 1.000 bis 60.000 Mark.

Gewinnzuwachs durch „soziale Interaktion“

Dem Kunstverein ist es laut Kölner Stadt-Anzeiger „egal, ob ein Sammler die Wohnung kauft oder ob sie, wetterfest gemacht, für Obdachlose zur Verfügung gestellt wird“. Vielleicht übernimmt der Sponsor das Objekt, wird doch „die Central Krankenversicherung ein Werk erstehen“. Diese an den Erhalt der Preissumme geknüpfte Bedingung steht nur im firmeninternen Presseblatt. Rechnet man Imagegewinn, kulturelle Aufwertung des Betriebsstandortes, Kunstwerkübernahme und dessen Wertsteigerung durch Preisübergabe zusammen, ist das mit dem Geld der Versicherten finanzierte Stipendium keineswegs verschwenderisch angelegt. In der Zeit seines Kölner Aufenthalts möchte Tiravanija die über 800 MitarbeiterInnen des Sponsors deshalb zum Essen in die Ausstellung einladen. Er nennt es „soziale Interaktion“, wobei die Chefetage schon bei der Eröffnung zu Tisch gebeten wurde.

„Vom Nachtschwärmer bis zum Obdachlosen hat prinzipiell jeder Zutritt: ,Wir schauen einfach mal, was passiert‘“, zitiert die Kölnische Rundschau die gastfreundliche Offerte von Künstler und Kurator. Im Blickfeld des Kölnischen Kunstvereins liegt der platzartige Verkehrsknoten Neumarkt. Der belebte Ort zwischen Fußgängerzone und Wohnquartieren ist zumindest für Junkies und andere unsanktionierte KonsumentInnen kein „Tag und Nacht geöffneter Raum im Herzen Kölns“ mehr, da sie durch massive Polizeipräsenz vom Platz gefegt wurden. Wenn nun die Arbeit im Kunstverein gegenüber „eine Art ,Asyl‘ für jedermann“ bieten und man sich „wie zu Hause“ fühlen soll, legt dies – trotz einschränkender Anführungszeichen – einen hohen Anspruch fest. Ein fotokopierter Zettel an einer Fußgängerampel auf dem Weg zwischen Kunstverein und Neumarkt wirbt für kommerzielle Junkie-Unterkünfte. Zielt Tiravanijas offene Wohnung auf diesen Mangel? Die Offenheit von Tür und Konzept bietet sich als liberale Rhetorik des Gutgemeinten dar und wird auf diesem Niveau von der lokalen Presse reproduziert.

Selbstverständlich ist es prima, städtischen Belangen Einlaß zu gewähren. Ohne deutliche Signale oder Ansätze des Kooperationswillens jedoch nimmt eine offene Tür den weniger Privilegierten noch lange nicht die Schwellenangst. Zudem findet sich in der Ausstellung etwa zur Situation der (Nacht-)Asylsuchenden keinerlei Hinweis. Künstler und Institution meiden eine greifbare Positionierung. Wie aber gingen Gastgeber oder Aufsicht der Kunst-Wohnung mit Gästen um, die hier auch am Montag campieren und drücken wollen, die sich nicht dem Arrangement unterordnen möchten?

„Mit einem aktiven Migrationsverhalten ... zelebriert er seine Kunst in vielen Städten auf fast allen Kontinenten der Welt“, eröffnet Central-Chef Hanns Baumeister die Ausstellung. Ist Tiravanija – in Buenos Aires als Sohn eines Diplomaten geboren, aufgewachsen in Bangkok und Äthiopien, mit Kinderfotos aus London, als Neunzehnjähriger Übersiedlung nach Kanada, Studium in Chicago und New York – selbst ein Asylsuchender? Tiravanija wollte eigentlich Fotojournalist werden: „Ich stellte es mir wunderbar vor, nirgendwo seßhaft zu sein und viel herumzureisen.“ Inzwischen verkörpert er die beinahe prototypische Biographie eines Global-Künstlers, der in einem südostasiatischen Staat sozialisiert wurde, von Nordamerika aus arbeitet und die europäischen Märkte abdeckt.

Jet-set statt Internet: „Migration ist das Thema der gegenwärtigen Kunst, die moderne Kunst ist dynamisch und veränderlich, veränderlicher als in den vergangenen Jahren. Die meisten jungen Künstler leben eine nomadische Existenz. Sie haben keinen festen Standort, kein eigenes Atelier. Sie ziehen von einer Ausstellung zur nächsten. Die meiste Zeit verbringen sie auf dem Flugfeld“, äußerte der Kurator Hans-Ulrich Obrist kürzlich in einem niederländischen Interview. In der von ihm betreuten Ausstellungsreihe „Migrateurs“ im Pariser Museum für Moderne Kunst durfte Tiravanija wiederum eine Kochnische einrichten.

Angesichts der Kasernierung und Abschiebung von Flüchtlingen bedeutet die Praxis künstlerischer „Migrateurs“ eine obszöne Umwertung des Begriffs Migration. Die inneren und äußeren Grenzen der Festung Europa sind der ökonomisch und kulturell privilegierten Business-class weitgehend fremd. Die „umherschweifenden DienstleisterInnen bzw. KünstlerInnen“, so Christian Höller in der Kunstzeitschrift springer, bespielen die Global-Art-Cities New York, Paris oder Köln nach Flugplan. Für nachhaltige Konsequenzen und Einsichten in lokale Politiken bleibt da keine Zeit. „Um die Institutionen zu kritisieren, muß man immer erst drin sein“, äußerte Rirkrit Tiravanija im Gespräch mit dem Kunsttheoretiker Hal Foster. Dort wird er sich wohl auf Dauer häuslich einrichten können.

Rirkrit Tiravanija: „Untitled, 1996 (tomorrow is another day)“. Bis 19.1. im Kölnischen Kunstverein.

Tiravanijas Info-„Pool-Raum“ im Kunstverein Hamburg ist je nach Saison zugänglich