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Zwischen Haß und Resignation

Die Palästinenser in der Altstadt von Hebron hoffen auf ein Abkommen, das ihnen Erleichterung bringt. Die jüdischen Siedler fühlen sich bedroht  ■ Von Ayala Goldmann

Auf dem Markt von Hebron knallt es wieder, genau dort, wo vor einer Woche der israelische Soldat Noam Friedman auf Palästinenser schoß und sechs Passanten verletzte. Der palästinensische Kameramann rennt die Schuhada(Märtyrer)-Straße entlang in die Richtung der israelischen Soldaten auf dem Markt. Die ausländischen Journalisten rennen hinterher. „Siehst du das Lächeln auf ihrem Gesicht?“ sagen zwei jüdische Siedlerinnen mit abschätzigem Blick. Doch der Kameramann gibt nach wenigen Minuten Entwarnung. „Nur eine Übung!“ rufen auch die Soldaten. Und wieder wird es still, und die spezielle Hebroner Atmosphäre, zusammengesetzt aus Spannung, Frust, Haß, Resignation und Langeweile, senkt sich erneut über die Stadt im Westjordanland.

Seit März letzten Jahres warten die Palästinenser auf den israelischen Truppenabzug aus der Stadt. Und für diejenigen, die am meisten auf eine Veränderung hoffen, wird sich am wenigsten ändern. Auch nach dem Teilabzug, der gemäß dem zweiten Autonomie-Abkommen von September 1995 nur aus etwa vier Fünfteln Hebrons erfolgen soll, werden in der Altstadt mit ihren 400 radikalen jüdischen Siedlern und etwa 15.000 Palästinensern weiterhin israelische Soldaten patrouillieren. Auch die Schuhada-Straße wird unter israelischer Kontrolle verbleiben. Sie wurde nach den palästinensischen „Märtyrern“ benannt, die während der Intifada und bei dem Massaker des jüdischen Fanatikers Baruch Goldstein 1994 in der Ibrahim-Moschee über der Machpelahöhle, dem überlieferten Grab Abrahams, getötet wurden. Nach dem Massaker Goldsteins, der 29 Palästinenser mit einem Maschinengewehr erschoß, sperrte die Armee die Straße für palästinensische Autos, um Racheanschlägen auf die jüdischen Siedler vorzubeugen. Die Wiederöffnung der Schuhada- Straße war einer der Streitpunkte zwischen Israel und den Palästinensern. Israelische Soldaten schieben dort Wache, ansonsten wirkt die Straße wie ausgestorben. Da die Kunden ausbleiben, sind fast alle Geschäfte geschlossen. Der Laden des Geflügelhändlers Dschamal Dandis, 33, ist geöffnet, aber leer. Dandis sagt: „Wir verlieren die Geduld – und niemand ist geduldiger gewesen als wir.“

Über konkrete Erwartungen sprechen nur wenige Palästinenser in der Altstadt. Alle wollen die radikalen Siedler loswerden, alle hoffen auf „Frieden“, „Geschäfte“ und „Ruhe“. Auf der anderen Seite des großen Marktes verkauft Ziyyad*, etwa 40, Reinigungsmittel. „Wir wollen ins Ausland fahren, wir wollen, daß Touristen kommen, wir wollen gut verdienen und unsere Ruhe haben“, sagt Ziyyad. Zwei Palästinenserinnen betreten seinen Laden und kaufen eine Flasche Putzmittel. „Fünf Schekel – mehr gibt hier keiner aus“, sagt Ziyyad. Israel soll nach dem Autonomie-Abkommen zwischen der früheren israelischen Regierung und der PLO auch diese Straße weiterhin kontrollieren, doch Ziyyad glaubt: „Sie werden hier zusammen die Kontrolle übernehmen, Israel und die Palästinenser. Es wird alles in Ordnung sein.“

Kurz darauf betritt ein islamischer Aktivist Ziyyads Laden, um ihm religiöse Schriften zu verkaufen. Nicht begeistert, aber geduldig nimmt Ziyyad ihm zwei Traktate ab. Der Einfluß fundamentalistischer Bewegungen wie Hamas und Islamischer Dschihad ist groß in Hebron. Frauen auf der Straße ohne Kopftuch fallen auf.

Den 400 jüdischen Siedlern in Hebron, den Radikalsten unter den Radikalen, paßt der stark islamische Charakter der Stadt in ihr Feindbild. Bei einem Spaziergang mit Siedler-Sprecher David Wilder über die Schuhada-Straße sieht sich dieser jeden Moment in seinem paranoid anmutenden Gefühl des Bedrohtseins durch die Realität bestätigt. Wilder, aus den USA stammend, weist auf die Hügel oberhalb der Schuhada-Straße: „Dieses Gebiet wird er (Arafat) bekommen. Dort oben werden sie sitzen. Wir sind die Zielscheiben.“ Warum zieht die jüdische Siedlung in Hebron so viele Menschen mit offensichtlichen Störungen an? Auch Friedman, der Schütze vom Neujahrsmorgen, soll unter Halluzinationen gelitten haben. Wilder hat auf die Frage keine Antwort. Statt dessen verweist er auf die Wellen von Sympathie, die Palästinenser den Selbstmordattentätern gegen Israel entgegenbringen. Es muß die Geschichte der Stadt sein, aus der jeder herauslesen kann, was ihm gerade paßt, und in Hebron wird die Geschichte schnell nach dem jeweiligen extremen Weltbild interpretiert.

Am Ende der Schuhada-Straße steht das ehemalige jüdische Krankenhaus Beit Hadassa. Bei dem Massaker an der jüdischen Gemeinde 1929, bei dem ein von Nationalisten aufgestachelter arabischer Mob 69 Juden in Hebron umbrachte, wurde das Gebäude zerstört. 1985 wurde Beit Hadassa vom israelischen Wohnungsbauministerium renoviert, schon vorher war es einer der Hauptstützpunkte der jüdischen Siedler in der Stadt, die sich für die legitimen Nachfolger der jüdischen Gemeinde Hebrons halten. In einem kleinen, in seiner Unprofessionalität an eine Schulausstellung erinnernden Museum im Untergeschoß von Beit Hadassa ist die Geschichte der Juden von Hebron dokumentiert. Vor 400 Jahren kamen Nachfahren der aus Spanien vertriebenen Juden in die Stadt. Als Bewohner einer der vier „heiligen“ jüdischen Städte in Palästina geriet die nicht zionistisch, sondern vorwiegend religiös orientierte Hebroner Gemeinde in der Zeit des britischen Mandats zwischen die Fronten arabischer Nationalisten und säkularer Zionisten. Das Massaker von 1929 war das vorläufige Ende der jüdischen Gemeinde in Hebron. Die britische Mandatsregierung wies die Überlebenden aus der Stadt.

Nur Bilder sind von der Hebroner Gemeinde geblieben – Schwarzweißaufnahmen von zerstörten Gebäuden, von Verletzten und Toten. In einer dunklen Kammer hängen die Bilder der Ermordeten – Männer, Frauen und Kinder. Wer sie waren – die Siedler von Hebron meinen es zu wissen. „Wir haben die jüdische Gemeinde von Hebron wieder zum Leben erweckt“ heißt es auf einem der Plakate in Beit Hadassa. Doch im Gegensatz zu jenen Hebroner Juden beschränken sich die Siedler nicht darauf, in der Nähe der Machpelahöhle, der überlieferten Grabstätte der biblischen Urväter und Urmütter Abraham, Sarah, Isaak, Rebekka, Jakob und Lea, zu beten und zu leben. Die Siedler kamen nach der Eroberung des Westjordanlands 1967 durch Israel nach Hebron. Sie wollen die israelische Souveränität über die Stadt, sie wollen ihre Siedlung um jeden Preis ausbauen. Und im Namen der ehemaligen jüdischen Gemeinde ist es ihnen gelungen, bislang jede Regierung dazu zu bringen, ihre Präsenz in Hebron sicherzustellen – auch die Regierung von Jitzhak Rabin, die nach Meinung vieler Israelis nach dem Massaker von Baruch Goldstein die Gelegenheit versäumte, die Siedler aus Hebron zu räumen.

Vor wenigen Wochen veröffentlichten 25 Nachkommen der Hebroner jüdischen Gemeinde in der israelischen Zeitung Ma'ariv einen Brief. „Die Regierung muß die Ansammlung von Siedlern sofort aus der Stadt entfernen, bevor es ihnen gelingt, den Friedensprozeß zu zerschlagen“, forderten die Autoren. Und weiter: „Niemand hat die Siedler als unsere Erben eingesetzt, ganz gleich, ob es sich um privaten Besitz oder um Besitz der jüdischen Gemeinde handelt. Die Siedler vermehren das Unrecht, das unseren Ahnen angetan wurde, indem sie zusätzliche Gebäude für sich in Beschlag nehmen.“ Doch für Siedler-Sprecher Wilder hat der Brief keine Bedeutung. „Hier haben tausend Juden gelebt“, sagt er. „Sie haben viele Nachkommen. Es gibt immer Leute auf der anderen Seite des Zauns.“

Auf der anderen Seite des Zauns, gegenüber dem Kinderspielplatz des Siedlerblocks „Awraham Awinu“, renoviert die Stadtverwaltung Häuser für Palästinenser. Im arabischen Armenviertel Banje Dar, das während der Zeit der Intifada von vielen Palästinensern verlassen wurde, weil sie die schlechten sanitären Bedingungen, die ständigen Ausgangssperren und die Belästigungen durch die Siedler nicht mehr ertragen konnten, sollen neue Wohnungen entstehen. Das Geld kommt vor allem aus Saudi-Arabien.

Chefingenieur Chaled Kawasme ist sicher, daß in wenigen Jahren bis zu fünftausend Palästinenser in die 35 Wohnprojekte einziehen können. „Die Reichen sind aus der Innenstadt geflohen“, sagt Nidal al-Tamimi von der Hebroner Stadtverwaltung. „Aber wir wollen sie dazu bringen zurückzukommen.“ Über den Häuserbau wird zwischen Siedlern und Palästinensern erbittert gestritten. Die Siedler wollen aus Angst vor Scharfschützen die Höhe der palästinensischen Gebäude auf vier Etagen begrenzen. Die Palästinenser fordern das gleiche für Siedler- Häuser.

Im wohlhabenden Hebroner Viertel al-Seitun, fernab von der Altstadt, wohnt die etwa 50jährige Geschichtslehrerin Mukaram Kawasme, die in verschiedenen Frauenorganisationen unter anderem für geschiedene Palästinenserinnen aktiv ist. „Unserer Familie gehört ein türkisches Bad in der Schuhada-Straße“, sagt Kawasme. „Wir wollen es renovieren und wieder öffnen.“ Ihr Sohn sei trotz der Siedler „sofort“ bereit, in die Hebroner Altstadt zu ziehen, versichert die energische Frau. Der Sohn äußert sich nicht, sondern zieht an seiner Wasserpfeife.

Im Villenviertel al-Seitun, erzählt die Familie, sind schon seit Monaten keine israelischen Soldaten mehr zu sehen. „Die palästinensische Polizei arbeitet jetzt schon hier – ohne Uniformen. In der Innenstadt gibt es ein Büro der berüchtigten palästinensischen Sicherheitsabwehr (einer der Geheimdienste im Westjordanland, d. Red.). Wir brauchen den Truppenabzug faktisch nicht mehr. Diejenigen, die ihn am meisten brauchen, sind die Palästinenser in der Altstadt. Sie leiden unter den Siedlern“, sagt ein Freund der Familie.

Doch Mukaram Kawasme, die überzeugt ist, daß Abraham „kein Jude, sondern der Urvater aller monotheistischen Religionen war“, läßt sich von den Spekulationen über den Zeitpunkt des Teilabzugs nicht beeindrucken. „Wir wollen nicht, daß die Palästinenser in den Verhandlungen mit Israel nachgeben. Wir wollen, daß sie stark bleiben. Egal, ob die Siedler, Netanjahu oder das ganze jüdische Volk hierherkommen – wir bleiben hier, auch wenn die Autonomie-Behörde nicht sofort offiziell in Hebron einzieht“, versichert sie.

*Name geändert

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