Warum nicht Klassenkampf?

■ 1997: Mehr Arbeitslose, höhere Börsenkurse

Beste Aussichten 1997. Die deutschen Unternehmen haben das Jahr 1996 mit Rekordaktienkursen (plus 25 Prozent) und hohen Gewinnen abgeschlossen. So soll es weitergehen. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist so niedrig wie lange nicht mehr – und sinkt weiter. Das wären traumhafte Bedingungen für entschlossene Unternehmer, die mit gut ausgebildeten deutschen Fachkräften den Konkurrenten am Weltmarkt zeigen, was eine Harke ist. Doch die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. 4,5 Millionen fürs neue Jahr sagen die Wirtschaftsforscher voraus.

Auch 1997 machen diese Unternehmer offenbar einen großen Bogen um Deutschland. Wer Geld hat, spekuliert lieber weiter auf den Aktienmärkten, statt es in neue Produktideen zu investieren. Von der Halbierung der Arbeitslosigkeit traut sich in der Bonner Koalition nur noch Minister Rexrodt zu reden. Der Minister als Pausenclown.

Deutschland 1997: Von der Zukunft wird geredet, am Nachwuchs wird gespart. Die Bundesrepublik nimmt unter den Industrieländern inzwischen einen der hinteren Ränge ein, was die Bildungsausgaben angeht. In der von der konservativen Koalition publikumswirksam gehätschelten beruflichen Bildung finden sich auch nach fast 14 Jahren Kohl-Regierung nicht genügend Ausbildungsplätze für junge Menschen. Den Studenten streicht man die Studienplätze, die Bücher und neue Computer. Wahrscheinlich in dem Glauben, daß Bill Gates deswegen so erfolgreich ist, weil er damals in seiner Universität keinen Computer fand und deshalb in Papas Garage rumprobieren mußte.

Deutsche Unternehmer unternehmen nichts, sie spekulieren. Die Bundesregierung handelt nicht, sie verwaltet, bestenfalls. Arbeitslose und Steuerzahler sollen derweil verzichten und für die Stagnation in Bonn auch noch die Zeche bezahlen.

Warum kann diese Regierung noch weitermachen, warum werden die Manager in den Vorständen weiter verwöhnt? Wer versagt, wird abgelöst, verheißt die Demokratie, wer versagt, wird vom Markt hinweggefegt, erzählen die Protagonisten der Marktwirtschaft. Wenn dies ausbleibt, werden die Verheißungen schal. Vor hundert Jahren hätte man gefragt: Was eigentlich spricht noch gegen Klassenkampf? Hermann-Josef Tenhagen