Debatte
: Kein gutes Gewissen

■ Karo Linnert: Was tun für Obdachlose? Debattenbeitrag von Karoline Linnert (Grüne) jkjjjkjh

Zugegeben: es gibt in Bremen weniger wohnungslose Menschen und ihre Situation ist besser als in den meisten vergleichbaren Großstädten. Eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen nimmt „unser“ schönes Hilfsangebot aber trotz hoher persönlicher Nachteile nicht an. Da muß man mit Ehrenerklärungen für dieses doch ein bißchen warten.

In Bremen heißt es in Artikel 14 Landesverfassung: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung“. Wohnung meint keine Unterkunft oder Einrichtung. Wohnung meint tatsächlich: Wohnung mit Mietvertrag und Schlüssel, mit dem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und Kündigungsschutz.

Leider muß ich nochmal mit einem Gesetzestext kommen. In § 72 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz verpflichtet der Gesetzgeber die Verwaltung: „Die Hilfe (für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, also ausdrücklich wohnungslose Menschen, Erläuterung der Autorin) umfaßt alle Maßnahmen, die notwendig sind, um Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, vor allem Beratung und persönliche Betreuung des Hilfesuchenden und seiner Angehörigen sowie Maßnahmen bei der Beschaffung und Erhaltung der Wohnung.“ Davon, daß die Betroffenen selber schuld sind, wenn die Hilfen nicht helfen, steht da nichts. Vielmehr muß man daraus ableiten, daß die Hilfen auf die Bedürfnisse der einzelnen Personen zugeschnitten sein müssen.

Die Frage der Qualität der Hilfen, die sich ja unweigerlich stellen sollte, ist vor dem Hintergrund der Kürzungspolitik arg in den Hintergrund geraten. Heide Gerstenberger besteht zu Recht auf einen Zugang über die Menschenwürde. Wer für eine Unterkunft sein Arbeitslosengeld einsetzen muß, möchte vielleicht seinen Hund mitnehmen und morgens unbeklaut aufwachen dürfen. Die Frage der Qualität stellt sich besonders dann, wenn wie in Bremen in dem Bereich Unterkünfte für Obdachlose ein Träger ein Monopol hat. Zur Qualität gehört auch, Aufenthalte in Einrichtungen zeitlich zu befristen, die Träger zur Wohnungssuche zu verpflichten und ein Programm zur ambulanten Betreuung in der eigenen Wohnung aufzuerlegen.

Die Kommune hat in Bremen ihre Verpflichtung Wohnraum anzubieten im Rahmen des sog. Bremer Vertrages geregelt. Darin haben sich die Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet, 60 Prozent aller freiwerdenen Sozialwohnungen an sog. Wohnungsnotstandsfälle zu vermieten. Das garantiert dem Einzelnen allerdings noch lange keine Wohnung. Lange Wartelisten und Einzelpersonen, die über Monate regelmäßig die Gesellschaften abklappern und irgendwann resignieren, sind Normalität.

Auch die vom Deutschen Städtetag empfohlene Fachstelle zur Vermeidung und Behebung von Wohnungslosigkeit haben wir in Bremen natürlich nicht nötig. Im Koalitionsvertrag 1991 vereinbart, fiel sie den Beharrungskräften der Sozialverwaltung zum Opfer, fachlich sinnvoll wäre sie immer noch. Stattdessen wird nun ein Gutachten über die Wohnungshilfe des Sozialamtes angefertigt. Wetten, daß am Ende die Privatisierung dieses Kernteils sozialer Hilfen steht?

Der größte Teil der Menschen, die heute trotz freier Unterkunftsplätze im Freien schlafen, haben einen Prozeß von enttäuschten Hoffnungen und Verelendung hinter sich. Für viele ist ihr Verhalten auch Selbstschutz vor neuen Enttäuschungen und einem Hilfesystem, das sie nicht erreicht hat. Wenn die aufgezeigten Defizite beseitigt sind und Bremen seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, will ich auch gerne in Ehrenerklärungen ausbrechen und Diogenes suchen. Es deutet wenig darauf hin, daß es bald dazu kommt. Karoline Linnert, sozialpolitische Sprecherin der Grünen