Schirm & Chiffre
: Heimat weltweit

■ Minimales Infovakuum oder Wie groß ist Reichelts „Präsentkorb groß“?: Go On, der neue Onlinedienst des Springer Verlags

Eigentlich schön für den Axel Springer Verlag: Zum Fünfzigsten ist nicht nur die Mauer weg, man kann zum Jubiläum auch gleich noch einen eigenen Onlinedienst in der alten und neuen Hauptstadt eröffnen.

„Go On“ ist als regionale Plattform im globalen World Wide Web konzipiert. Nach einer kurzen öffentlichen Testphase öffnen sich seine Fenster seit dem 1. Januar aber nur noch zahlenden Kunden. Für monatlich 12,95 Mark bekommen die einen T-Online Account mit Internet- Zugang. Inklusive zwei Freistunden und des Gefühls, exklusiv auf die Online-Informationsangebote Springers zugreifen zu können.

Da fühlt man sich zu Hause wie im eigenen Kiez, selbst die Werbebuttons vermitteln wohlig Heimat: Die Berliner Bank ist da, Schultheiss und Reichelt Online. „All business is local“, hatten die Marketingstrategen des Verlags zur Eröffnung verkündet.

Was als ideologischer Überbau so weltläufig daherkommt, trägt in der Welt des digital vermittelten Konkreten schöne Bezeichnungen wie „Wurstplatte“ oder „Präsentkorb groß“. Jene können via Reichelt Online nämlich bestellt werden – frei Haus.

Auch wenn irgendwann einmal das übliche Sortiment eines Supermarkts dem Online-Shopper zur Verfügung stehen sollte – wie das die Hamburger Ausgabe von Go On mit dem „Einkaufsnetz“ vorexerziert – stellt sich doch die Frage: Wer soll denn in den Genuß solch hochdifferenzierter Dienstleistungen kommen?

Ein Blick in die Bibel jedes Marketingcracks, Matthias Horx' „Trendbuch“, hätte genügt, um Zweifel aufkommen zu lassen: „In manchen Teilen der urbanen Mittelschichten entwickelt sich heute eine Art ,neoaristokratische‘ Lebensform.“ Und die werde unter anderem durch „die fallenden Dienstleistungspreise in den großen Städten (Neue-Sklaven-Trend) gefördert.“ In guter Springer-Tradition formuliert, heißt das: Neue Sklaven machen Online-Shopping platt.

Den Kern von „Berlins Superhirn“ machen allerdings traditionelle Informationsangebote wie „News“ und „Service“ aus. In der ersten Sektion werden täglich aktuelle Nachrichten aus dem großen Springerpool eingespeist, letztere bietet Submenüs wie „Carport – PS-Geflüster aus erster Hand“, „Verleih“ und „Bildung“. Oder „Gelbe Seiten“, die aber merkwürdigerweise direkt zur Telekom-Homepage führen.

Unter „Bildung“ findet sich ein „Studienführer“, der aus einer Liste der Fachbereiche der einzelnen Universitäten besteht, Adressen der Volkshochschulen und zur Weiterbildung, falls man zum Beispiel die Adresse des Polnischen Kulturinstituts suchen sollte.

Klickt man das ebenfalls unter „Service“ angebotene TV-Programm an, landet man unversehens auf den Seiten der BZ Online. Die ist, wie die Springer-Produkte Bild Online, Berliner Morgenpost und Die Welt, direkt an Go On angeschlossen.

Unter dem „Verbraucher“- Menü kann man sich bis zur Stiftung Warentest weiterklicken. Dort finden sich Basisinformationen zum Verbraucherschutz und neue Meldungen wie „Ketchup – fast so süß wie Speiseeis“. Wir denken an die Gesundheit unserer Enkelkinder und vermuten: Hier könnte das gesuchte Feature sein, das den Go-On-User auf die Überholspur der Datenautobahn katapultiert.

Gibt es schon einen umfassenden Ketchup-Test? Enttäuschenderweise ist jetzt aber auch mit Hilfe des – zugegebenermaßen sehr umfangreichen – „Go On Glossars“ nirgendwo die Adresse der Stiftung Warentest oder eines Büros in meiner Nähe zu finden. In diesem minimalen Infovakuum liegt der Hund begraben. Obwohl es lokale Online- Serviceangebote wie Go On inzwischen wie Sand am Meer gibt, scheinen alle dasselbe Problem zu haben: In den unübersehbaren Datenmengen fehlt immer genau eine Information, nämlich die, die man gerade braucht.

Anstatt also stundenlang im Netz zu surfen und dabei womöglich 4,95 Mark zu bezahlen, die Go On stündlich kostet und auch durch Ticket-Bestellservice und Chatroom nicht gerechtfertigt werden können, ist die Anschaffung folgender Items zu empfehlen: eines Stadtmagazins Ihrer Wahl, das Abo einer Tageszeitung und/oder BZ vom U-Bahn- Kiosk sowie die neueste Ausgabe der Gelben Seiten.

Ulrich Gutmair