Der Jack-Russell-Boom Von Karl Wegmann

„Auch du mein Freund?“ – Willy läßt seine humanistische Bildung raushängen und klatscht mir seinen berüchtigten pädagogischen Blick ins Gesicht. Ich bin etwas verwirrt. Natürlich hatte ich keine Jubelparade erwartet, aber diese spröde Reaktion fand ich dann doch etwas übertrieben. „Was hast du denn gegen Jack-Russell-Terrier, sind doch tolle Terror-Tölen, born to be wild und so...“, versuche ich mich zu verteidigen. „Eben“, sagt Willy, „eine der letzten Hunderassen, die noch nicht verdorben sind.“ – „Ja genau, nix Zierhund, sondern ,Wirbelwind mit robuster Natur‘, wie es so schön in der Fachliteratur heißt.“ – „Eben“, wiederholt sich Willy und schaut immer noch so komisch traurig aus der Wäsche.

„Hör schon auf, mir pflanzst du kein Schuldgefühl ein, ich hab' wirklich alles versucht, war im Tierheim, wollte eine dieser gequälten Kreaturen befreien, aber eher kriegst du für Hannibal Lecter eine Begnadigung als einen Hund aus dem Tierknast frei.“ – „Die müssen vorsichtig sein“, antwortet Willy. „Seh' ich ja ein, aber die wollten Arbeitsbescheinigungen, Führungszeugnis, schriftliche Erlaubnis des Hausbesitzers, beglaubigten Grundriß mit Angabe der Quadratmeterzahl der Wohnung und so weiter, einfach lächerlich, nebenan krepieren Köter und Katzen in überfüllten Betonzellen, und ihre Wärter machen sich über den Datenschutz lustig, nee, nicht mit mir.“

„Okay“, sagt Willy, „versteh' ich, aber warum ausgerechnet einen Jack Russell?“ – „Weil...“, weiter komme ich nicht, denn jetzt legt er los: „Die 70er Jahre, erinnerst du dich, Led Zeppelin und LSD. Der Modehund war der Cockerspaniel. Jeder Depp wollte einen Cocker. Ergebnis: totale Überzüchtung, verblödete Hunde. Das gleiche passiert heute mit den Golden Retrievern. Jeder Depp... Und so weiter. Nun unterwerfen sich Hundezüchter aber auch schamlos den Gesetzen des Marktes. Das heißt, ist eine Rasse einmal dämlich gezüchtet, muß ein neues ,Produkt‘ her, und das wird angepriesen und verkauft wie ein Waschpulver oder ein neuer Schokoriegel.“

„Aha“, entfährt es mir, „und der neue Milky Way heißt Jack Russell.“ – „Genau“, meint Willy, „gib's doch zu, bis vor sechs Monaten hattest du doch keine Ahnung, wer oder was ein Jack Russell überhaupt ist. Und heute! Im letzten Spiegel special eine Geschichte über einen Jack Russell; ein Fernsehinterview mit Hillu Schröder, die stolz ihren Jack Russell präsentiert, und wen nimmt Gene Hackman in ,Crimson Tide‘ mit an Bord? Das schlimmste aber sind die Annoncen in den Zeitungen. Normalerweise kostet ein Jack Russell zwischen 1.200 und 1.500 Mark, doch jetzt werden sie schon für 400 Mark angeboten. Der Zug in die Idiotie ist abgefahren.“

„So ein Mist, warum ausgerechnet Jack Russell“, ich bin wirklich schwer betroffen, „hätten sie nicht Dalmatiner nehmen könen?“ – „Haben sie auch schon versucht“, sagt Willy, „hat nicht richtig funktioniert. Dalmatiner sind zu groß, zu eigenwillig und nicht besonders kinderlieb, der kleine Jack Russell läßt sich bedeutend besser vermarkten.“ – „Und was mach' ich jetzt“, frage ich ihn, „ich dachte wirklich, ich hätte etwas Besonderes, nicht Alltägliches gefunden, und jetzt ist es nichts anderes als ein alter Schokoriegel in neuer Verpackung?“ – „Katzen“, sagt Willy, „Katzen sind eine prima Alternative!“