Lauwarme Winterreise

■ Tom Krause enttäuschte mit Schubert-Interpretation

Die besten Frühlingslieder, meinte Heine, schriebe man im Winter hinterm Ofen. Die schönsten Winterlieder, erfuhr Tom Krause am Mittwoch abend in der kleinen Musikhalle, singt man besser nicht, wenn Schnee liegt und das Quecksilber sich bei minus sieben herumdrückt. Der bescheidene finnische Bariton hat in etlichen Mozartpartien in der Dammtorstraße und überall auf der Welt bewiesen, daß er ein guter Sänger ist. An diesem Abend war er es über weite Strecken nicht.

Vielleicht waren die Stimmbänder den Minusgraden nicht gewachsen, zweimal mußte er aus dem bereitgehaltenen Wasserglas trinken. Sein Körper, der sehr gerade stand und mit sehr steifen Armen rechts und links, sagte auch, daß er ängstlich war und nicht heraus wollte mit der Stimme. Von den vierundzwanzig Liedern der Winterreise wohnte Tom Krause nur bei den letzten acht in seinem Gesang. Davor wohnte er ihm bei. Doch Schuberts Lieder, und unter ihnen gerade die Zyklen Winterreise und Schöne Müllerin, wollen nicht allein gesungen sein, sondern im selben Atem erzählt, wenn nicht gelebt, mit Verlaub.

Aber Tom Krause, der in Hamburg lebt und sicher gut Deutsch spricht, singt nicht gut Deutsch. Das darf im Fall deutscher romantischer Lieder einfach nicht sein. Und er sang zu oft legato und über alle Nuancen hinweg. Oder der Bariton traf sie nicht oder zerdehnte die Worte nur und wechselte die Dynamik ohne Sinn, so daß kein Bild entstand vor den Herzen der Hörer, kein Bild vom frierenden, weglosen Wanderer im Winter der Welt. Es klirrte keine Angst und hockte keine Krähe, es knackte kein Fluß, und die Liebe, sie starrte nicht. Selbst die sonst unfehlbar wirksame Fata Morgana des Frühlingsglücks blieb taub, auch weil Dietmar Loeffler am Klavier ohne Charme begleitete.

Daß es hier und da Intonationsschwächen gab, hätte unwichtig sein können. So aber ging auch dieser Mangel zu Lasten fehlender Identität; wenn schon sonst nichts, hätte doch wenigstens Schuberts abwegige Chromatik das Fahle und Fatale herbeizaubern können, das diese Kunst so wunderschön macht. Nichts da. Schade.

Stefan Siegert