Zwischen den Rillen
: Alte Säcke, kleine Finger

■ Neueste Blümchen des Bösen: Die Stranglers und Marilyn Manson versuchen es immer noch mit schnöder Ruppigkeit

Fangen wir mit dem Nachrichtenwert an: Die Stranglers sind noch am Leben.

Ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist, weiß jeder für sich selbst zu entscheiden. Komplizierter schon die Frage, was ältere Herrschaften wie die Stranglers, deren letzte Äußerung von Belang, die LP „Aural Sculptures“, nun schon 13 Jahre zurückliegt, dazu treibt, sich immer noch in schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre eine Platte zu gönnen.

Mit „Written On Red“ füllen die Stranglers auf ein neues den Graben zwischen plastischer Macho-Attitüde und spätpubertärer Jungsromantik. Und sie füllen ihn mit Melodien, die man getrost als verschwenderisch bezeichnen kann, und einem gemütlich dahintropfenden Sound, der zwar keine Ahnung von irgendwelchen aktuellen Entwicklungen haben will, aber halt auch so tut, als sei selbstzufriedener Weltherzschmerz eine positive Eigenschaft. Alte Säcke wickeln dich um den kleinen Finger. Wem's gefällt.

Paul Roberts, der vor fünf Jahren das Mikro vom abgegangenen Hugh Cornwall übernahm, singt treuherzig „If you see her say I need her“, nur um knappe drei Minuten später gehässig „I won't miss you“ zu verkünden. Das alles ist natürlich hauptsächlich auf dem Mist von Jean-Jacques Burnel gewachsen, der sich auch von Angesicht zu Angesicht gerne als rauhe Schale mit weichem Kern bzw. konkreter als irgendwie dann doch sensitiver Poet mit Karategürtel präsentierte. Man kann sich nicht helfen: Manchmal wirken die Stranglers wie eine vor der Zeit gealtere Boygroup, die sich ganz und gar ihrem berufsbedingten Zynismus hingegeben hat.

Nach dem Zuckerbrot-und- Peitsche-Prinzip funktioniert nicht nur das Frauenbild, sondern auch die Musik. Andy Gill, dessen Glanzzeiten als Gang-of- Four-Chef nun auch schon einige Jährchen zurückliegen, hat den strengen Schwarzträgern mal Geigen reingemischt, mal ein paar halbwegs knallige Beats. Ansonsten hören sich Gitarren hier noch so an wie Gitarren und nicht wie ein Frontabschnitt, was zur Abwechslung zwar mal ganz erholsam ist, aber man fragt sich doch, was „Written In Red“ im CD-Regal zwischen Stone Temple Pilots und Sugar zu suchen hat.

Erschröckliches ist von den Stranglers nicht mehr zu erwarten – von Marilyn Manson kaum mehr als das überhaupt zu erhoffen. Irgend jemand, höchstwahrscheinlich ein Manager, hat mit dem Quintett aus Kalifornien konsequent zu Ende gedacht, in welche Richtung Rock momentan stolpert.

Nach der großartigen Wiederauferstehung durch Nirvana et al folgte die Konsolidierung, als letzter Ausweg bleibt jetzt nurmehr der Zirkus. Tun wir also so, als hätte Alice Cooper wirklich mal jemanden erschreckt, nennen das Ganze „Antichrist Superstar“, und schon brauchen wir bloß noch ein paar fundamentalistische Christeneltern, die sich echauffieren. So richtig ist das Skandälchen in den USA noch nicht losgebrochen, aber zumindest verkaufstechnisch funktioniert das zur Zeit doch ganz prächtig, und Marilyn Manson können gar nicht so schnell die Gräber schaufeln, wie sie das Geld verbuddeln wollen.

Nun sind wir hier aber nicht in Amerika, und ich persönlich kenne niemanden älter als sechs, dem die Schminke, die Blasphemie oder die an Serienkiller angelehnten Pseudonyme der Musiker mehr als ein Stirnrunzeln entlocken würden.

Ihren Reiz könnten sie allenfalls auf einer Rocky-Horror- Ebene entwickeln, und in Amerika rennen die meist eh jugendlichen Fans auch schon tatsächlich ebenso geschminkt und verkleidet in die Konzerte, um sich dort vom Sänger den nackten Arsch ins Gesicht halten zu lassen.

Als Dank für ihre Geduld bekommen sie einen Parforceritt durch die aktuellsten Errungenschaften des Gothic- und Metalwesens, wenn auch reduziert auf die Elemente, die einwandfrei bubblegumtauglich sind. Maschinengewehrgitarren, Bollerschlagwerk, elektronisches Schaben, Lustschreie, Kindermördergewimmer, Reval-Raucher-Gegrunze und natürlich die allgegenwärtige Koketterie mit dem Bösen: Besungen wird da ein S/ M-Liebesabenteuer oder auch die erlösende Wirkung des Selbstmords. Oder gleich ganz schlicht und als Zitat sicherlich vorgesehen: „Let's just kill everyone and let your god sort them out“.

Hier wird der amerikanischen Gesellschaft (und nicht nur der) der Spiegel vorgehalten, mag jetzt jemand einwerfen, aber wahrlich, ich sage euch, das muß ja nicht so platt geschehen. Der rechte Bösewichtfaktor stellt sich so oder so nicht ein. Wenn man vorher schon mal zwei oder drei Death-Metal-Platten gehört hat, kommen einem Marilyn Manson bestenfalls noch als Seifenoper daher. Produziert und auf seinem Label herausgebracht hat diese dritte Platte übrigens Trent Reznor, Kopf der spätestens durch den „Natural Born Killers“- Soundtrack berühmt gewordenen Nine Inch Nails.

Man hört das, denn „Antichrist Superstar“ bollert wirklich mächtig. Das knallt, daß Ohren sich zu Blumenkohlröschen kräuseln. Doch trotzdem hört es sich in letzter Konsequenz so an, als würden Marilyn Manson ihren Mentor nur vom Bravo-Starschnitt her kennen. Oder anders herum: Gary Glitter hat sich The Sweet an den väterlichen Busen gedrückt. Thomas Winkler

The Stranglers: „Written In Red“, Castle Communication

Marilyn Manson: „Antichrist Superstar“, Interscope/ MCA