Das freut die Arbeitgeberseite

■ betr.: „Schule als Lebensort“, taz vom 2. 1. 97

Sybille Volkholz bedauert, daß in den Ländern „bei Haushaltskürzungen teilweise weit überproportional auf die Bildungssituation zurückgegriffen werde, sie seufzt: „Wenn es wenigstens ein sozialdemokratisch regiertes Land gäbe, das den Bildungsbereich nicht zum Sparschwein degradiert.“

Dieses Land gibt es: Nordrhein- Westfalen. Die Haushaltsmittel für das Bildungswesen, die 21,2 Prozent des Landeshaushalts ausmachen, sind nicht nur nicht gekürzt, sondern im Gegensatz zu allen anderen Politikbereichen um 1,7 Prozent erhöht worden. Nordrhein- Westfalen ist zudem das einzige Bundesland, in dem in den nächsten Jahren jede durch Pensionierung frei werdende Lehrerstelle neu besetzt wird. Durch die Einstellung von 21.000 Lehrerinnen und Lehrern wird sich auch die altersmäßige Zusammensetzung der Kollegien spürbar ändern. Es gäbe noch andere Argumente, die sich gegen die Stammtischparole vom „Kaputtsparen“ anführen ließen. Mit den vorhandenen Mitteln effizienter umzugehen bedeutet etwas ganz anderes als Sparen. Dr. Besch, Der Staatssekretär

des Ministerium für Schule und

Weiterbildung des Landes NRW

[...] Die Vorschläge Volkholz' leisten dem Sozialabbau Vorschub, wie sie nicht mal die FDP zu formulieren wagen würde und verkennen das wahre Problem von Schule:

Was Volkholz als „Bündnis für Bildung“ vorstellt, bedeutet im Klartext, mit weniger Geld mehr erreichen zu müssen. Dabei geht es ihr nicht um Schule (für das ihr Plädoyer gehen soll), sondern um gesellschaftliche und politische Wertschätzungen, wie sie eingangs offen zugibt.

Ihre Forderungen, daß Schule mehr als eine Unterrichtsanstalt (das ist ihr traditionelles Ziel), nämlich ein inhaltlich und zeitlich erweitertes Angebot, bieten soll und ein neues Selbstverständnis aufbauen muß, kommt dem Willen derer entgegen, die Kinder in die Welt setzen, aber keine Zeit mehr für sie haben, damit Karriere, Erfolg und Ansehen stimmen. Das freut die Arbeitgeberseite.

Dabei sieht sie selber ein, daß Institutionen wie Familien immer mehr versagen. Ihre Überlegungen setzen nur leider da an, wo die (Schul-)Kinder bereits in den Brunnen gefallen sind. Die Erfahrung von Familie kann nicht durch eine effektivere Gestaltung der Lernprozesse, wie Volkholz sie fordert, ersetzt werden. Wieder eine dieser Arbeitgeberideen.

Auch Nachmittagsbetreuung durch RentnerInnen, wie Volkholz sie vorschlägt, reduziert nicht die Schwämme an arbeitslosen LehrerInnen und bedeutet ferner eine schleichende Verlängerung der Arbeitszeit (da jubeln die Arbeitgeber).

Der Gipfel der Unverschämtheiten ist aber die geforderte offizielle Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 45 Stunden für LehrerInnen (diese wird derzeit von allen meinen KollegInnen mit voller Stelle locker überschritten!). Wie man so was ungestraft in der SPD fordern kann (ohne daß nicht sofort jemand dieser Frau den Stuhl unter dem Senatorinnenhintern wegzieht) bei all der vorgetäuschten Nähe zu den Gewerkschaften, bleibt mir schleierhaft. Ferner attestiert sich Frau Volkholz, daß sie immer noch nicht begriffen hat, was das tatsächliche Problem von Schule heute ist: Der tägliche Verschleiß von LehrerInnen und die Behinderung des Unterrichts durch Probleme, die aus Familien der Kinder in die Schule getragen werden, weil sich kein Elternteil um den eigenen Nachwuchs kümmert. Ansgar Heide, Frankfurt/Main

Die Autorin Volkholz wird ausgewiesen als Expertin für Schul- und Bildungsfragen. Ich lese also, was Volkholz mir als praktizierendem Lehrer zu sagen weiß. Ich lese und stelle fest: Etliches kann ich unterschreiben.

Viel interessanter ist aber das, wovon Volkholz nicht spricht. Sie spricht an keiner Stelle von einem gesellschaftlichen Auftrag, den die Schule zu erfüllen hätte. Jetzt kann man sich darüber streiten, was ein gesellschaftlicher Auftrag sein könnte. Daß mit einer solchen normativen Festlegung nicht nur die Menschenfreunde, sondern auch die Untertanen vorbereitet wurden, zeigt die 200jährige Schulgeschichte Deutschlands. Kann wegen dieser wenig rühmlichen Geschichte aber eine parteipolitisch orientierte Schulfachfrau jeden Anspruch an die Schule aufgeben?

Anders ausgedrückt: Alle gesellschaftlichen Einrichtungen müssen sich der Allgemeinheit gegenüber rechtfertigen – und nicht nur deshalb ist eine solche Rechtfertigung nötig, weil in ihnen gesellschaftliche Ressourcen gebunden werden. Auch inhaltich müssen – ich komme wieder zur Schule zurück – Schulen inhaltlich ihre gesellschaftlichen Funktionen und die daraus abgeleiteten Zielsetzungen der kritischen Prüfung unterziehen. Diese Prüfung muß ich allerdings nicht vornehmen, wenn Schulen keine Zielsetzung mehr haben. Eine solche ist aus dem Beitrag von Volkholz nicht zu entnehmen. Schulen sollen ihr zufolge „flexibler und schneller auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eingehen können“. Also: Das KaDeWe soll flexibler und schneller auf die Bedürfnisse der Kunden, zum Beispiel auf die Kundin Volkholz eingehen können. Das ist Krämersprache. Die Diskussion aller Beteiligten hätte zu klären, ob zur Zielsetzung von Schulen Ansprüche zählen, auf die sich die Schüler einlassen müssen. Einer Politikerin der Grünen wird doch hoffentlich dazu etwas einfallen. [...]

Vielleicht ist der Artikel viel trivialer gemeint, als ich denke. Der „Dreh- und Angelpunkt grundlegender Schulreform“ liegt nämlich in der Arbeitszeitregelung von Lehrern. Es ist immer wieder wunderbar, wenn man am Ende eines Krimis den Täter vorgesetzt bekommt. Sicherlich bleibt ein schales Gefühl übrig, wenn die eifersüchtige Ehefrau dran glauben muß und der Waffenschieber, auf den ich von Anfang an setzte, ungeschoren davonkommt. Möglicherweise sind es meine eigenen Vorurteile, die meine Emotionen steuern. Ullrich Kamuf, Mühlheim

Schule als Lern- und Lebensort – wie soll das funktionieren (zumindest am Gymnasium)? Schülerinnen und Schüler verstehen sehr schnell, daß in erster Linie „Lehrerleistung“, deren „Phantasie“, ihr „Vermögen“ auf individuelle Lernvoraussetzungen einzugehen, ihr „Ideenreichtum“ für kreativen Unterricht, mit dem Besitz eines entsprechenden Parteibuches häufigst korrelieren.

Mit den inhaltslosen Phrasen einer Frau Volkholz kann man sicherlich Karriere machen, nicht aber eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Schule kreieren – vielen leistungswilligen und leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern hängt ein solches „Geblabber“ schon lange zum Hals heraus! Werner Rosenbecker, Gymnasi-

allehrer, Hiddenhausen