■ Kreuther Tagung: CSU fühlt sich von Schäuble überrumpelt
: Klausur verkehrt

Kreuth einmal andersrum. Vor 21 Jahren schreckte die CSU ihren großen Bruder in Bonn mit der Ankündigung der Spaltung: Keine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU in Bonn mehr, lautete die Parole 1976 – eine Drohung, die zwar nie wahrgemacht wurde, aber das bundespolitische Gewicht der CSU stärkte und dazu beitrug, daß vier Jahre und eine Bundestagswahl später Franz Josef Strauß Kanzlerkandidat der ganzen Union wurde. Gestern war nun die Umkehrung von Kreuth zu beobachten. Der große Bruder aus Bonn schreckte die CSU. Denn die CSU mußte zur Kenntnis nehmen, daß Wolfgang Schäuble den Christsozialen mit seinen Kanzlerambitionen die Show gestohlen hat. Die CSU-Vorstöße zu den Themen Ausländerbeschäftigung und „rote Socken“ interessierten daneben kaum noch.

Vor allem Edmund Stoiber mit seinen Träumen von der Kanzlerkandidatur steht nun ziemlich verloren da. Der bayerische Ministerpräsident hat eine klare Aussage zu diesem Thema bisher vermieden und sieht sich mit überraschend deutlichen Ansprüchen Schäubles konfrontiert. Wenn Stoiber jetzt ebenfalls antritt, riskiert er den offenen, chancenlosen Konflikt mit Schäuble – und wenn er's bleiben läßt, gibt er (in der Machtterminologie der CSU) klein bei. Noch unangenehmer wird Stoibers Lage dadurch, daß er sich erstmals mit öffentlicher Kritik an seinen Positionen auseinandersetzen muß, die aus der eigenen Partei stammt. Was 1996 noch in wirklicher Klausur erledigt wurde – ein heftiger Streit zwischen Bonner und Münchener CSUlern –, geschieht mittlerweile wie in anderen Parteien via Zeitungsinterview des Generalsekretärs Porzner. Hier zeigt sich eine langsame Normalisierung der einst homogen wirkenden Partei, der es immer schwerer fällt, unterschiedliche Interessen in Bonn und München auszutarieren.

Ein zusätzlicher Alptraum für die CSU ist das laute Nachdenken Schäubles über eine Große Koalition. Denn in dieser Konstellation wären die Stimmen und Abgeordneten der bayerischen Union nicht länger für eine Mehrheit im Bundestag notwendig. Insofern machen auch die sanfteren Töne in Richtung FDP, die gestern in Kreuth zu vernehmen waren, durchaus Sinn: Würde die regierende Koalition vor 1998 auseinanderbrechen, wäre eine Große Koalition die rechnerische Alternative, bei der Stoiber keine Chance auf den Kanzlerjob und die CSU deutlich weniger Einfluß im Kabinett hätte. Felix Berth