Notorische Wadenbeißer

■ Erster Bremer Hundetherapeut legt Problemfälle nicht auf die Couch

Paco kann Kinder und Schaffner nicht leiden. Dann sträubt sich sein Nackenhaar – und der Biß ins Hosenbein ist nah. So nah, daß Frauchen Irmtraut K. kurzerhand die Notbremse zog. Das an sich liebe Tier hatte augenscheinlich einen „Knacks“. Vor genau vier Wochen an einem Mittwoch morgen rief Irmtraut K. deshalb Clemens Schomaker an. Paco kam in therapeutische Behandlung.

Schomaker nennt sich „praktischer Verhaltenstherapeut für Hunde“ – eine ungeschützte Berufsbezeichnung, die sich jeder an die Tür nageln kann. Doch der 37jährige verweist schnell auf seine Kompetenz als „überzeugter Autodidakt“. Seit fünf Jahren schaut er Hunden beim Beißen, Gassigehen und Pinkeln zu – und liest Fachliteratur. Sein therapeutisches Geschäft mit seelischen Hundeleiden boomt bereits: Der Terminkalender ist rappelvoll – bissige Rassehunde absolvieren bei ihm ein Therapieprogramm.

Montags, 13.30 Uhr am Werdersee. Der Wind pfeift durch Pacos Fell. Der Therapeut trifft sich mit Klient Hund und dessen Frauchen am Werdersee – zur Zeit üben sie täglich, egal ob es regnet oder schneit. „Paco ist kein Problemhund“, sagt Schomaker. Schließlich sei er „sozial ganz gut drauf. Der beißt nicht richtig zu, wie andere.“ Wie der Pittbull-Terrier, der plötzlich seine Welpen zerfleischte. „Da hatte die Halterfamilie einfach Angst um ihre Tochter.“ Oder der Westhighland-Terrier: Ein wuscheliges, weißes Wollknäuel, das urplötzlich dem 12jährigen Sohn seiner Familie die Waden blutig biß. „Die Halter merken plötzlich: Halt, ich komme mit dem Hund nicht mehr klar, den habe ich wohl einfach unterschätzt“, analysiert der Therapeut.

„Sozial unsicher“ – so faßt Schomaker das Problem „psychischer Krüppelhunde“ zusammen: Hunde, die aus Angst Männer, Kinder oder andere Personen einfach agressiv anfallen. Oder hintenrum zu blutigen „Wadenbeißern“ mutieren.

Die Rasse sei dabei gar nicht entscheidend. „Dafür sind die Züchter selbst verantwortlich zu machen“, sagt Schomaker. Welpen würden bis zu zwölf Wochen beim Züchter allein im Zwinger gelassen. „Ohne sie an Menschen und Geräusche zu gewöhnen. Die drehen dann natürlich durch in der Stadt“, weiß der Therapeut. Frauchen und Herrchen stünden dann nur fassungslos da: Schlagen den Hund oder treten zu, „weil sie meinen, der Rambo zu sein.“ Oder sind unsicher und deshalb zu lasch: „Wie eine zweifelnde, labile Frau.“

„Paco, ja komm doch mal. Ja, Paco“, ruft Halterin Irmtraut K. und greift hektisch zum Halsband. Der Schäferhund hatte wieder mal unautorisiert wildem Federvieh am Werderseeufer nachgejagt. Der Hund nämlich kommt aus Portugal und hatte sich dort nach einem Autounfall selbst mit Futter versorgen müssen.

Jetzt soll er braver und sittsamer werden: „Der soll lernen, bei mir zu bleiben und nicht wegzulaufen“, sagt Irmtraud K. Doch durch ihren ungeschickten Handgriff verheddert sich der Strick um Pacos Hals. „Das machst Du nie wieder“, ermahnt sie der Therapeut. Der Halter sollte immer ruhig und gezielt seinem Hund Befehle erteilen. Immer wieder üben Frauchen, Therapeut und Paco einfache Befehle wie „Sitz“, „Platz“ und „Bleib“. Und Paco begreift. Schon nach drei Therapiewochen liegt Paco seelenruhig auf seinem Platz.

In ein paar Wochen soll Paco die Feuerprobe bestehen: dann wird er zum Fußballplatz gehen, wo Kinder trainieren. „Nur so kann ich die Angst der Hunde vor Kindern in den Griff bekommen“, sagt Schomaker. Wenn auch das nicht hilft, „dann bestehe ich auf Leinenzwang oder Maulkorb.“

Paco könnte bessere Chancen haben. Wenn da nicht das Problem mit der Hüfte wäre: Seit seinem Autounfall hoppelt er wie ein Karnickel. „Den therapiere ich nur weiter, wenn ich eine genaue Diagnose habe. Sonst ist das Tierquälerei.“ Die behandelnde Tierärztin würde Paco aber nur Pillen verschreiben. „Die Ärzte machen – wie Züchter auch – mit den Emotionen der Tierhalter einfach ihr Geschäft“, kritisiert der Therapeut. Doch auch auf seiner Kostenliste steht: eine Therapiestunde – hundert Mark. kat