Prag literarisch

■ literatour nord hält in Bremen / Libuse Moníková liest aus „Verklärte Nacht“

Sie fährt mit der Straßenbahn, sie geht schwimmen. Sie ißt mit früheren Freundinnen im Hotel, und sie ist dort angekommen, wo sie lange nicht mehr gewesen ist: in Prag. Leonora Marty, international erfolgreiche Tanzchoreografin und Hauptfigur wie Alter ego der Autorin von „Verklärte Nacht“, Libuse Moníková, kommt im Winter für wenige Tage zurück in die tschechische Heimatmetropole. Sie sucht die Stadt auf und nötigt ihr die Geschichte und Geschichten ab.

Da steht Lea Marty nach zwanzig Jahren beim ungeliebten Schulfreund in der Tür, der noch einsamer ist als früher, Motten in Gläsern heranzieht, nach Schweiß riecht. Sie knöpft unvermittelt ihre Bluse auf. Genauso brüsk läßt sie ihn stehen mit seiner sabbernden Gier: Sie ist schon anderswo. Will Prag sehen und verstehen.

Was sie sieht, macht sie zornig, verletzt sie. Sie muß es wortstark bewältigen, aber sie hat auch Angst um ihre Stadt. Denn es ist kälter geworden in Prag, und nicht nur, weil es kurz vor Weihnachten ist. „Die hohe Zahl der Amnestierten, die Roma aus der Slowakei, die Banden aus Rußland und der Ukraine, dazu die unaufhaltsam anschwellenden Massen der Touristen machen die Menschen in der Stadt gereizt und mißtrauisch.“

Dabei wurde soviel Hoffnung an das Verschmelzen von West- und Osteuropa geknüpft: „Langsam aber sicher kehrt Normalität in die Beziehungen ein“, schrieb Alena Wagnerová zur offiziellen deutsch-tschechischen Erklärung vom Dezember in der taz. Marty/ Moníková hält dagegen: „Ich mag nicht auf Nummer sicher gehen, die todsicheren Spiele.“ So erzählt Moníková, der Text liest sich nicht immer bequem. Die zurückgekehrte Tschechin ist als Beobachterin unnachsichtig und versetzt Detail mit Detail. Da müssen wir Schritt halten.

Die Moníková wollte in Deutschland leben – damals, als sie Prag 1971 verließ. Sie wollte auf Deutsch schreiben und aus der Distanz heraus begreifen, warum es in ihrem Land so eng geworden war. Freiwillig ist sie nicht fortgegangen: Nach Ende des „Prager Frühlings“ blieb keine Luft für jene, die ihr Land geliebt hatten. Moníková hatte noch beim Germanisten Eduard Goldstücker promoviert, der unter Dubcek Kulturminister war.

Moníková ging 26jährig in die Bundesrepublik, hatte Lehraufträge – auch an der Bremer Universität. Sie sprach dort über Kritik durch Witz, über Brecht, Kraus und Kafka natürlich. Auch ging sie als Referendarin an das ehemalige Gymnasium Am Barkhof an der Parkallee.

Immer wieder kehrte die heute in Berlin lebende Moníková nach Prag zurück. Und von solch einer Rückkehr erzählt auch „Verklärte Nacht“. Sie beschreibt sie als ruhelose Reise durch die Stadt, als Dokumentation der belasteten Beziehung zwischen Tschechen und Deutschen. Es kommt zu mehreren grotesken Begegnungen, die Moníková lakonisch kommentiert. Doch auch Irrwitz kann in sanfte Augenblicke übergehen: „Einen fremden Körper berühren. Ein Wagnis.“ Verklärte Nacht eben.

Katrin Patzak

Lesung am Sonntag, 12.1., um 20 Uhr im Ambiente