Eine Mauer aus Sprache

■ Ossis und Wessis reden immer noch aneinander vorbei, ist das Fazit eines neuen Buches. Nach Besserwessis und Jammerossis nun Trotz im Osten und Selbstzweifel im Westen

„Die sprachliche Mauer ist nicht verschwunden, sondern sie ist nur neu verputzt.“ Undine Kramer, Sprachwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, läßt keinen Raum für Illusionen. Zusammen mit anderen der fünfzehn AutorInnen stellte Kramer gestern das Buch „Von Buschzulage und Ossi- Nachweis. Ost-West-Deutsch in der Diskussion“ vor. Der Band biete, so Mitherausgeberin Ruth Reiher, eine „Chronik des wiedervereinigten Sprachgebrauchs“.

Gut sieben Jahre nach dem Mauerfall ist sprachliche Harmonie in Deutschland also Fehlanzeige. Besonders deutlich in Berlin, „dem Brennpunkt des so schwierigen und konfliktreichen Einigungsprozesses“, wie Ruth Reiher und Mitherausgeber Rüdiger Läzer bemerken. Aus dem Beitrag von Helmut Schönfeld ist zu entnehmen, daß sich an der Spree in den Jahren der Teilung eine ganz besondere sprachliche Mauer gebildet und bis heute gehalten hat. Wer im Westen „wat Besseres“ sein wollte, legte „icke“ und „dette“ schnellstmöglich ab. Ganz anders in der Ostzone. Berlinisch gehörte zum guten Ton, war bester Beleg für die proletarische Gesinnung. Und läßt sich nicht so leicht schleifen wie Straßennamen oder Denkmäler. Das ist doch eigentlich super. Urst eben.

Der gegenwärtige Sprachgebrauch, schreibt Undine Kramer, offenbare „einen erschreckenden Mangel an Sensibilität und Toleranz“. Die Klischees – so ein Befund des Buches – halten sich in der gegenseitigen Wahrnehmung der Ost- und Westdeutschen. Um dies festzustellen, genügt der Besuch einer Kneipe in der jeweils fremden Zone. Arrogant-großkotzig- aufgeblasene Wessis (kurz: Besserwessis) reden „irgendwie“ viel und sagen „halt“ wenig. Meinen die Ossis. Beispielsweise im ostigsten Bezirk Marzahn. Wobei „ostig“ noch in keinem Wörterbuch verzeichnet sei, so Kramer. Die „Ex- DDRlerInnen“, wie sie manchmal heißen, wiederum sind – in Wessi- Augen – unbeholfen, depressiv und dumm (kurz: Jammerossis).

Aber Vorsicht: Seit neustem wagen es die ehemaligen Zonendödel, den Begriff „Ossi“ neu zu besetzen. Eine Studie der Universität Leipzig belegt: Während im Osten „frisches Selbstbewußtsein“ wächst, blühen im Westen „neuerdings Selbstzweifel“. „Was gut ist, setzt sich durch“ – jetzt fangen die Ossis tatsächlich an, diesen Werbespruch zu glauben. Gar zu verinnerlichen. Nicht länger blendet das alt-bundesrepublikanische „Vokabular der Bedeutsamkeit“. In seinem Beitrag „Wessianisch für Ossis“ entmystifiziert Reinhard Hopfer das auch sprachlich „hochmotivierte Durchstarten“ im Westen. Jede noch so kleine Absicht werde im Wessi-Land zum „Projekt“ mit „höchster Priorität“.

Selbst im Duden finden sich DDR-Bezeichnungen wie „Broiler“, „Abschnittsbevollmächtigter“ oder „Konfliktkommission“. Was allerdings nicht als Beleg für den fortschreitenden Osttrotz gewertet werden sollte. Denn unter den Tisch fallen gelassen hat die Redaktion der Rechtschreibe-Bibel so zentrale Begriffe wie „Jugendbrigade“ oder „Kaufhalle“. Obwohl Ossis dort weiterhin einkaufen, selbst wenn das Lebensmittelgeschäft längst „Kaiser's“ heißt. Monika Hinner

„Von Buschzulage und Ossi-Nachweis. Ost-West-Deutsch in der Diskussion“, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1996, 17,90 DM