Dem Glück davongelaufen

■ Überzeugende Neuinszenierung der Edith-Piaf-Revue im Friedrichstadtpalast

Radionachrichten, die sich überblenden, Meldungen französischer und deutscher Sender. Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder“ ist der bekannteste deutsche Schlager, und im Wettrüsten liegen die USA weit vor der UdSSR. Und dazwischen die Nachricht vom Tod des „Spatzes von Paris“. Fetzen aus dem Nachruf von Jean Cocteau: „Niemals kannte ich ein Wesen, das so freizügig mit seiner Seele umging.“ Und schließlich in diesem babylonischen Stimmengewirr die Meldung von Tod Cocteaus. Er starb nur wenige Stunden nach ihr.

Diese akustische Collage eröffnet diese „Revue eines Lebens“ mit großem dramatischem Gestus. Cocteau und Piaf, die lebenslangen Freunde, stehen am Rand der kahlen Bühne und kommentieren die Rückschau dieses Lebens. In pointierten Szenen entwirft Autor Joachim Nottke die Geschichte einer Frau, die in jungen Jahren nie die Erfahrung einer glücklichen Liebe machen konnte und dem Glück später davonlief.

Der Abend steht und fällt mit Katja Nottke, die auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Ihre Piaf ist schlicht überzeugend. Nicht nur der Look im legendären einfachen schwarzen Kleid und dem lockigen Haarschopf – ihr gelingt die ganze Aura. Die Arme in die Seiten gestemmt, steht sie breitbeinig auf der Bühne, singt und schafft diese Atmosphäre aus Leid und Verzweiflung, Überlebensmut und Kraft. Samt dem typischen leichten Vibrato in der Stimme und dem kräftigem Timbre, wenn es darum geht, Lebenswillen zu demonstrieren.

Für ihren (im übrigen ganz und gar nicht eitlen) Auftritt benötigt Katja Nottke allerdings das Ensemble. Das schlüpft, sängerisch wie schauspielerisch wendig, in diesen knapp zwei Stunden in über 40 Rollen. Claudio Maniscalco etwa, der mal den tumben Boxer Marcel Sardin, Piafs letzte große Liebe, gibt, mal einen tuntigen, blasierten Schauspieler oder den jungen, noch blamabel ordinären Yves Montand. Immer wieder sind es ebenfalls Legenden, die dargestellt werden: Marlene Dietrich (Ana Fonell) etwa oder Roland Frey als Jean Cocteau (der sie ein „begnadetes Ungeheuer“ nannte). Doch nie als billige Kopien, sondern geradezu als eigene Charaktere. Mit minimalem bühnentechnischem Aufwand, vielen Kostümen und kurzweiligen, glaubhaften Situationen entsteht so ein ständiger Wechsel von komischen und tragischen Momenten.

Dieser Erfolg hat bereits Geschichte. 1992 hatte das Stück im Kreuzberger Kama-Theater Premiere, wurde dort über 300mal gespielt und später fürs Hamburger Schmidt-Theater von Claudio Maniscalco noch einmal neu in Szene gesetzt. Das Kama-Theater, von Katja Nottke mit begründet und geleitet, hat nicht überlebt – trotz lang anhaltender Anstrengungen, Geld für diese nicht subventionierte Bühne zu beschaffen. Wie immer man die einzelnen Produktionen auch bewerten möchte: Als Gesamtes war das Kama zweifellos eine große Bereicherung des kulturellen Lebens in Berlin. Es hatte den Mut, eigene Musicals zu entwickeln und in dem ansonsten fast ausschließlich von angloamerikanischem Import geprägten Genre eigene Akzente zu setzen. Denn experimentierfreudiges, unterhaltendes Musiktheater wagt in der Berliner Off-Szene außer der Neuköllner Oper niemand mehr.

Wenn die erfolgreichste Kama- Inszenierung nun in einer teilweise umbesetzten Neuinszenierung als Gastspiel in der Kleinen Revue zu sehen ist, mag bei manchen durchaus Wehmut aufkommen. Und Katja Nottke, in Sachen Theaterschließung erfahren, nutzt nach dem verdienten Schlußapplaus umstandslos die Chance, das Wort zu ergreifen. Noch ganz in der Rolle der kämpferischen Piaf und doch schon wieder in jener der Retterin, beklagt sie die Absichten des Senators, die Kleine Revue zu schließen.

„Schenkt Theaterkarten statt Vasen oder anderer eher verlegener Geschenke!“ fordert sie. „Zeigt dem Senat, daß die Berliner nicht so theatermüde sind, wie behauptet wird!“ Das Publikum jubelt, und so schlecht ist die Idee letztlich nicht. Mit einer Karte für „Edith Piaf – ich bereue nichts!“ macht man definitiv nichts falsch. Axel Schock

Nächste Vorstellungen am 11.1. und 14.-16.1., 20 Uhr, Kleine Revue des Friedrichstadtpalastes, Friedrichstraße 107