"Herrgottchen, was ist links?"

■ Joachim Hoffmann kennt sie alle: die Grabstellen von Rosa, Karl und Käthe. Der 74jährige hat den Friedhof Friedrichsfelde erforscht - und ein Büchlein geschrieben

* „Ich war – ich bin – ich werde sein“.

Ja, was bin ich eigentlich? Ich bin Lichtenberger. Vor allem Lichtenberger, seit 1949. Ich bin historisch interessiert, das war ich schon immer. In den letzten Jahren ist aus meinem Interesse Berufung geworden. Man hat ja viel Zeit, wenn man älter wird. Noch bin ich 74. Und ich bin PDSler. Daran wird sich auch nichts ändern. Man hat doch seine Meinung. Sagt Joachim Hoffmann.

* „Das Banner steht und wenn der Mann auch fällt“.

Der Schnee von gestern wird geräumt. Langsam dreht der Multicar seine Runden – so lange, bis auch das letzte Weiß an den Rand gedrängt ist. Der Weg ist frei für die Massen. Hunderttausend werden morgen in die Gedenkstätte der Sozialisten kommen, um Karl und Rosa zu ehren. Einmal im Jahr, am zweiten Sonntag im Januar, trifft sich die Linke in Friedrichsfelde. Joachim Hoffmann, der Vor-allem-Lichtenberger, der Hobbyhistoriker, der PDSler braucht diesen Tag eigentlich nicht. Bei Karl und Rosa war er in den vergangenen Wochen und Monaten oft genug. Natürlich auch bei all den anderen. Bei Wilhelm Liebknecht, dem Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie. Bei Carl Legien, dem Vorsitzenden der freien deutschen Gewerkschaftsbewegung seit 1892. Bei Friederike und Robert Coppi, den Mitgliedern der Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Aber auch bei Bruno Apitz, dem Schriftsteller („Nackt unter Wölfen“). Bei Konrad Wolf, dem Regisseur („Solo Sunny“). Bei Käthe Kollwitz, der Künstlerin. Bei Emil Fuchs, dem Theologen. „Dieser Friedhof heißt ja nicht umsonst Zentralfriedhof. Er ist nicht nur ein linker Friedhof, wie ihn viele sehen.“ Wie ihn viele sehen wollen. Das macht ihn ärgerlich. „Herrgottchen, was ist links?“ fragt Joachim Hoffmann. Es gab auch rechte Sozialdemokraten. Und vor allem: „Hier liegen Schriftsteller wie Wissenschaftler, liegen Regisseure wie Ärzte...“

* „Den lieb ich, der Unmögliches begehrt“.

Wie oft hat er vor dem Grab von Wilhelm Liebknecht, dem Vater von Karl, gestanden. Wie oft sind ihm die Bilder des 12. August 1900 durch den Kopf gegangen. Wie Hunderttausende Spalier standen von der Kantstraße in Charlottenburg bis hinaus zum Totenhain in Friedrichsfelde, um ihrem Wilhelm, dem „großen Sozialdemokraten“, das letzte Geleit zu geben. Bilder einer langen Wagenreihe mit Kränzen, Palmenzweigen und Schleifen ziehen an ihm vorüber. Bilder eines endlosen Trauerzugs aus Arbeitern aller Länder. Im Vorwärts war damals über die Beerdigung Wilhelm Liebknechts zu lesen: „Die Welt folgt ihm – ein Zug der Liebe, gewaltig durch die Masse, seinen Ernst, seine Prunklosigkeit.“

* „Wir haben uns den Weg nicht so schwer gedacht, aber wir werden ihn doch wieder gehen“.

„Punkt eins“, sagt Joachim Hoffmann. „Punkt eins ist doch, daß die politische Geschichte des Friedhofes am 12. August 1900 beginnt. Und nicht erst, wie viele immer meinen, im Jahre 1919 mit der Ermordung von Karl und Rosa.“ Punkt eins, Strich drunter.

* „Er wurde dafür ermordet“.

„Punkt zwei“, sagt Joachim Hoffmann. „Punkt zwei ist, daß dieser Friedhof genauso zur Berliner Geschichte gehört wie der Dorotheenstädtische in Mitte oder der Friedhof Heerstraße in Charlottenburg.“ Nur weil einigen Leuten die hier Begrabenen nicht mehr genehm seien, dürfe der Zentralfriedhof nicht in die Vergessenheit gedrängt werden. „Er verkörpert nun mal das Berlin östlich vom Alex.“ Damit müsse man sich auseinandersetzen. Joachim Hoffmann hat es aus seine Weise getan. Er hat im Auftrag der Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener ein Büchlein geschrieben. „In Deinem Friedrichsfelde ruht...“ heißt es. Ordentlich aneinandergereiht, wider das Vergessen, sind die Etappen des Friedhofs. Die erste vom Armenfriedhof zum deutschen Sozialistenfriedhof (1881–1918), die zweite von der Novemberrevolution bis zum Ende der Weimarer Republik, die dritte in der Nazizeit, die vierte von der Einweihung der Gedenkstätte (1951) bis heute.

* „Wirken für andere war ihres Glückes ergiebigster Quell“.

„Punkt drei“, sagt Joachim Hoffmann. „Punkt drei ist, daß man gar nicht alles über den Friedhof erzählen kann.“ Wo anfangen? Wo aufhören? Bei den Nazis, die 1935 das Revolutionsmonument zerstört haben? Bei den Schändungen nach der Wende, als Unbekannte Buchstaben aus dem Schriftzug „Gedenkstätte der Sozialisten“ gerissen haben? Bei der Gedenktafel an der Ringmauer, die über Nacht zugesprüht wurde, so daß die Hälfte der Namen nicht mehr zu lesen ist? Bei Nuori Dehkordy, dem Funktionär der Demokratischen Partei des iranischen Kurdistans, der bei dem „Mykonos“-Anschlag im September 1992 ums Leben kam und in Friedrichsfelde beigesetzt wurde? Oder bei den noch immer anhaltenden Gerüchten, daß Honeckers Urne hierherkommen soll? „Viel gebe es zu sagen“, sagt Joachim Hoffmann.

* „Sein Mut und seine Überzeugung leben fort“.

„Selbstverständlich werde ich morgen dabeisein. In der Frühe, so ab halb neun, bin ich an der Gedenkstätte, bin ich bei Karl und Rosa und bei all den anderen.“ Sagt Joachim Hoffmann. Jens Rübsam

* Inschriften auf Grabsteinen