Polen macht endlich reinen Tisch

■ Die Kommunisten schlugen Guthaben der Opfer des Holocaust dem Staat zu. Jetzt werden die Erben gesucht

Warschau (taz) – Was hat die polnische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Vermögen der Holocaust-Opfer gemacht? Diese Frage setzte im Oktober 1996 mehrere polnische Ministerien und Archivare in hektische Betriebsamkeit. Der US-Senator Alfonse D'Amato hatte der polnischen Regierung nämlich vorgeworfen, mit dem Geld Schweizer Bürger entschädigt zu haben, deren Eigentum sie in Stettin, Breslau, Posen oder in Zentralpolen verstaatlicht hatte? Die Archivare suchten nach Dokumenten, Zahlungsbelegen, den Verträgen mit der Schweizer Regierung.

Als die Archivare nach einigen Tagen verstaubt, aber ergebnislos aus den Aktenbergen auftauchten, richtete die Regierung eine Sonderkommission ein. Am Dienstag legte die Kommission ihren Bericht vor. Sicher ist jetzt, daß die kommunistische Regierung Polens sich am 25. Juni 1949 in einem Vertrag verpflichtete, den in Polen enteigneten Schweizern insgesamt 536 Millionen Schweizer Franken Entschädigung zu zahlen. Wahlweise konnte Polen auch „Kohle“ liefern – damals in ganz Europa eine gesuchte Mangelware – oder die Guthaben sogenannter „nachrichtenloser Konten“ polnischer Staatsbürger bei Schweizer Banken auf ein nicht näher bezeichnetes „Konto N“ gutschreiben. Obwohl es zunächst geheißen hatte, daß die Summe aller nachrichtenlosen Konten polnisch-jüdischer Holocaust-Opfer bei rund zwei Millionen Schweizer Franken liege, betrug die erste Überweisung im Jahre 1960 nur 16.347 Schweizer Franken. „Diese Summe“, so Außenminister Dariusz Rosati, „wurde tatsächlich zur Entschädigung von in Polen enteigneten Schweizern benutzt.“ Dies entspräche jedoch nur „0,03 Prozent der Entschädigungszahlungen an die Schweizer“.

Im Jahre 1975 habe die Schweiz dann eine zweite Summe überwiesen: 463.954 Franken. Zu diesem Zeitpunkt seien aber die Entschädigungszahlungen an die Schweizer bereits abgeleistet gewesen. Das Vermögen der polnisch-jüdischen Holocaust-Opfer auf den Schweizer Banken übernahm die damalige Regierung in ihr Budget.

Rosati erklärte, daß der Vertrag von 1949 unrechtmäßig zustandegekommen sei, da das Parlament ihn nicht ratifiziert habe. Die Schweiz habe dies gewußt und akzeptiert. Darüber hinaus habe die polnische Regierung kein Recht gehabt, das Vermögen von Privatpersonen zu übernehmen, ohne die Namen der Kontoinhaber zu kennen und ohne nach möglichen Erben gesucht zu haben. Dies, so Rosati, soll nun nachgeholt werden. Die Schweizer Banken sollen Polen die Namen der damaligen Kontoinhaber nennen, so daß das polnische Justizministerium die Suche nach möglichen Erben beginnen kann. Rosati schätzt, daß die 500.000 Franken, die die Schweiz bis 1975 überwies, heute einen Wert von 1,5 Millionen Franken haben. Nach der Befriedigung der Erbansprüche solle der Rest zur Erinnerung an die Kriegsopfer verwendet werden, die aus rassischen, religiösen und politischen Gründen verfolgt wurden.

Schätzungen jüdischer Organisationen zufolge befinden sich auf Schweizer Bankkonten insgesamt Guthaben und Zinsen im Wert von heute rund sieben Milliarden Dollar, die den Holocaust-Opfern und deren Nachkommen gehören. Die Schweizer Banken hingegen behaupten, nur 775 Konten mit insgesamt 32 Millionen Dollar gefunden zu haben. Da sie sich nach wie vor auf das Bankgeheimnis berufen, auch wenn die Konto-Inhaber sich seit Jahrzehnten nicht gemeldet haben, erwägt die Schweizer Regierung, einen Entschädigungsfonds für Nazi-Opfer einzurichten. Diesen Fonds will sie aus den „nachrichtenlosen Konten“ finanzieren. Nicht nur die Banken sträuben sich gegen diesen Plan. Auch Abraham Burg, Präsident der Jewish Agency in Jerusalem, lehnt einen solchen Fonds ab: „Niemand hat die Gründung eines solchen Fonds gefordert. Wir wollen einfach das, was uns zusteht, und nichts anderes.“ Gabriele Lesser