Verzweifelte Anrufe aus Teheran

Ehefrau und Freunde Faradsch Sarkuhis fürchten um das Leben des verschwundenen und unter merkwürdigen Umständen wiederaufgetauchten iranischen Literaturkritikers  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – „Ich habe den Eindruck, daß der Druck auf ihn Tag für Tag erhöht wird. Ich weiß nicht, was er aushält.“ Wenn sie über ihren Mann spricht, steht Faride Zebardschad (41) die Verzweiflung im Gesicht. Am 20. Dezember war der iranische Literaturkritiker Faradsch Sarkuhi (49) nach 47 Tagen Abwesenheit wieder aufgetaucht: Umgeben von iranischen „Sicherheitsbeamten“ erklärte der zitternde Chefredakteur der Literaturzeitschrift Adineh auf dem Teheraner Flughafen, er habe die Zeit in Deutschland verbracht. Augenzeugen sind jedoch überzeugt, daß Sarkuhi zuvor nicht aus einem Flugzeug geklettert war, sondern aus einem Kerker des iranischen Geheimdienstes.

Noch am Tag seines Auftauchens habe er seine Familie in Deutschland angerufen, berichtet Faride Zebardschad. „Er hat mir gesagt: Ich habe ein Interview gegeben und folgendes gesagt: ...“ Dann habe er wiederholt, was Nachrichtenagenturen vom Flughafen berichteten, jedoch mit dem Schluß: „Es tut mir leid, daß ich euch so enttäuschen mußte.“ Für die mit ihren beiden gemeinsamen Kindern in Berlin lebende Faride Zebardschad ein Hinweis, daß ihr Mann zu seiner Aussage gezwungen wurde.

Seither hat Faride Zebardschad fast täglich Telefonkontakt zu Sarkuhi. Doch was diesem während seiner Abwesenheit zustieß, ist dabei kein Thema. „Einmal habe ich von einer Telefonzelle angerufen“, erzählt Faride Zebardschad. „Noch bevor am anderen Ende der Leitung der Hörer abgehoben wurde, sah ich, daß von meiner Telefonkarte Einheiten abgezogen wurden.“ Sarkuhis Telefon wird offensichtlich abgehört.

Ein mit Sarkuhi befreundeter schwedischer Journalist hatte ein anderes Erlebnis: Unter Sarkuhis Teheraner Nummer meldete sich eine Stimme, die behauptete, Sarkuhi zu sein, aber dementierte, den Anrufer zu kennen. Nachforschungen ergaben, daß Sarkuhi zu dem Zeitpunkt gar nicht in seiner Wohnung war, sondern im 600 Kilometer entfernten Schiraz.

„Er will den Iran verlassen, aber er darf nicht“, erzählt Faride Zebardschad. Bei ihren letzten Telefonaten habe Sarkuhi sehr resigniert geklungen. Auf das Angebot von Freunden, ihm Geld zu schicken, habe er geantwortet: „Ich brauche kein Geld. Mein Leben ist eh' nichts mehr wert.“ Freunde fürchten daher, daß Sarkuhi etwas zustoßen könnte: „Ein Autounfall, ein Herzinfarkt, ein Selbstmord“, meint einer. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich die iranische Führung so eines unliebsamen Bürgers entledigt.

Vorerst scheint Sarkuhi jedoch eine andere Aufgabe zugedacht: Er müsse noch ein oder zwei Ausgaben seiner Zeitschrift Adineh produzieren, soll er am Telefon gesagt haben. Bereits im letzten Sommer hatte Sarkuhi geklagt, angesichts der zunehmenden Repression sehe er keinen Sinn mehr in seiner Tätigkeit. Er werde jedoch von der iranischen Führung bedrängt weiterzumachen. Lesern von Adineh fiel auf, daß die Zeitschrift immer unkritischer wurde.

Faride Zebardschad fürchtet, daß Sarkuhis Fall in Vergessenheit gerät. Sie hat den Leiter des Deutschen Orientinstituts, Udo Steinbach, und die Orientalistin Annemarie Schimmel gebeten, ihren Einfluß im Iran geltend zu machen.

Anlaß zur Sorge, daß die iranische Rechnung aufgeht, besteht: Amnesty international stoppte nach Sarkuhis Auftauchen ihre Urgent Action. Bundestagsabgeordnete, die sich für Sarkuhi stark gemacht haben, sind verunsichert. „Wir wollen Sarkuhi nicht gefährden“, begründen die Bündnisgrünen ihre derzeitige Nichtaktivität. „Wir warten auf eine Klärung der Situation“, heißt es bei der CDU, „wir wußten gar nicht, daß er wieder aufgetaucht ist“, bei der FDP.

Klarer scheinen iranische Außenpolitiker die Angelegenheit zu sehen. Nach Informationen der taz herrscht in iranischen diplomatischen Kreisen Verärgerung über das stümperhafte Vorgehen ihres Geheimdienstes im Fall Sarkuhi.