■ Ökolumne
: Eiskalt vertan Von K.-P. Klingelschmitt

Väterchen Frost hält Deutschland fest umklammert. Auch wenn die Menschen etwa in Kamtschatka bei 10 Grad minus gerade mal den obersten Hemdknopf schließen; bei uns wird ordentlich gefroren. Und unsere geliebten Autos verschwinden unter Schneedecken, ihre Türschlösser vereisen. Die morgendliche Kratzerei an den Scheiben geht selbst passionierten Kfz-Freaks auf die Nerven – von den einzukalkulierenden enormen Zeitkontingenten bei der schlidderigen Fahrt zur Arbeit ganz zu schweigen.

Der harte Winter, die große Chance für die Bahn: „Wir fahren bei jedem Wetter.“ Alles Lüge. Die Chance vertan. Trotz privatisierter Bahn AG und angeblich professionell organisiertem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV). Kein Bahnsteig am Frankfurter Hauptbahnhof, auf dem nicht Angestellte der Bahn AG über knarzende Lautsprecher den Reisenden in den vergangenen Tagen – wie bei Jacques Tati („Monsieur Hulot macht Ferien“) – in Zehn-Minuten-Abständen die Verspätungen ihrer Nah- und Fernzüge durchgebellt hätten. Ob nach Norden, Süden, Osten oder Westen; fast nichts ging mehr (pünklich). Zugefrorene Weichen und Bremsen, geborstene Oberleitungen. Und ganz offensichtlich durch den Stellenabbau bei der Bahn geschwächte Reparatur- und Notdienstrotten. Waren es bei der Bahn AG „nur“ Verspätungen, die bei den frierenden Wartenden diverse Äderchen im Gesicht platzen ließen, platzte denen, die im Nahverkehr umgestiegen waren, glatt der Kragen. Wer pünklich zur Arbeit kommen wollte, mußte schon gut eine Stunde früher aufstehen, um noch eine fahrende S-Bahn etwa nach Frankfurt oder Wiesbaden zu erwischen. Fahrpläne? Nur noch Makulatur. Trotz der zahlreichen Ausfälle schickte der RMV keinen einzigen Zug mehr als zu frostfreien Zeiten auf die Reise. Und die (Un-)Glück-

lichen, denen es gelang, eine der S-Bahnen zu

entern, standen dann in den total überheizten Waggons wie die Stangenspargel in einer Weißblechdose aus Formosa.

Wer dann noch am Zielbahnhof ankam, hatte Glück. Andere wurden etwa auf der S-Bahn-Strecke Mainz–Frankfurt schon in Kelsterbach per Lautsprecherdurchsage aus dem Zug gescheucht, weil der angefangen hatte, zu brennen (!). Eine kleine Panik brach aus. Auf dem Bahnsteig stauten sich die Kurzreisenden, die vergeblich auf die vorherige S-Bahn gewartet hatten, die überhaupt nicht kam, und die, die mit der brennenden S-Bahn fahren wollten. Und dazu noch die, die mit der nächsten S-Bahn fahren wollten. Große Panik bei denen, die einen Flug gebucht hatten und am Flughafen Rhein-Main aussteigen wollten. Sie sahen vom Bahnsteig aus ihren Flieger fliegen. Was sich in der nächsten S-Bahn, die zwanzig Minuten später einlief (Kurzzug), abspielte, kann sich jede (r) vorstellen: Kampf im öffentlichen Personennahverkehr.

Bahn AG und RMV haben ihre Chance gehabt. Sie haben sie nicht genutzt. Im Gegenteil: Temporären Umsteigern, die Dauernutzer hätten werden können (und das waren und sind in diesen eiskalten Tagen Tausende von BerufspendlerInnen und Fernreisenden), wurde das Fahren mit den Bahnen gründlich verleidet.

Selbst die Flaggschiffe der Bahn, die ICE-Züge, die ganz bestimmt keine Eis-Züge sind, rollten mit zum Teil erheblichen Verspätungen durch die verschneite Republik. Im ICE 71 von Hamburg nach Basel saßen 700 Fahrgäste sieben Stunden lang fest, nachdem ein Baum auf die Strecke gestürzt war. Solange brauchte die Bahn AG, um den Baum zu beseitigen und die beschädigte Lok zu bergen. Die Kupplung der Ersatzdiesellok paßte nicht in die Kupplung des ICE.

Es kam, was kommen mußte: Auf den inzwischen von Schnee und Eis notdürftig befreiten Autobahnen sitzen die potentiellen BahnkundInnen wieder in ihren Blechkisten und treten dezent auf die Gaspedale. Lieber doch Winterreifen kaufen, den „Scheebesen“ benutzten, die Scheiben freikratzen und auf den nicht geräumten Seitenstraßen der Faszination der Langsamkeit erliegen. Immer noch besser, als in bazillenverseuchten Waggons wie Vieh transportiert zu werden, um dann – durchgeschwitzt, erschöpft und mit Magengeschwür – verspätet die Stechuhr in der Firma drücken zu können, die dann auch nicht mehr ganz so lustvoll stöhnt. Lohnraub durch die Bahn. Und so ganz nebenbei ein (Eis-)Bärendienst für die Umwelt.