„Hände weg vom Sonntag!“

■ Bischof Klaus Engelhardt, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum verkaufsoffenen Tag des Herrn

taz: Herr Prof. Engelhardt, haben Sie sich schon sonntags frische Brötchen gekauft?

Engelhardt: Nein, das habe ich auch nicht vor. Es ist nicht unbedingt nötig. Wenn ich sonntags frische Brötchen haben will, kann ich sie mir am Freitag oder Samstag kaufen und sonntags aufbacken.

Seit Anfang November kann man nun sonntags, am Tag des Herrn, der Ruhe und der Besinnung, Brötchen kaufen. Was halten Sie von den erweiterten Ladenöffnungszeiten?

Sie sind äußerst problematisch. Die Kirchen müssen alles dagegen tun, daß der Sonntag als gemeinsam erlebbare und erlebte Zeit erhalten bleibt. Er ist ein uraltes Kulturgut jüdisch-christlicher Tradition. Er muß ein Ruhetag bleiben. Die neuen Öffnungszeiten sind zu weitgehend und bedenklich.

Wollen die deutschen Kirchen die neuen Öffnungszeiten hierzulande wieder rückgängig machen?

Ja, aber man muß da realistisch sein. Leider ist nun eingetreten, was zu befürchten war: Die neuen Öffnungszeiten für die Bäckereien könnten andere Bereiche der Wirtschaft mit sich reißen. Ich habe schon vor zwei Jahren bei der Diskussion um längere Ladenöffnungszeiten vor einer schleichenden Erosion des Sonntags gewarnt.

Der Bundeswirtschaftsminister, Günter Rexrodt (FDP), hat vorausgesagt, daß im Jahr 2000 nicht nur die Bäcker sonntags ihre Waren verkaufen werden. Glauben Sie, er hat recht?

Ich hoffe nicht. Die Kirche muß ihren Teil dazu beitragen, daß es der Gesellschaft allgemein ins Bewußtsein dringt, wie schädlich dies wäre. Die Gemeinschaft muß auf eine gemeinsam erlebte und gestaltbare Zeit zurückgreifen können. Außerdem geht es auch um die Menschen, die dann am Sonntag arbeiten müssen. Doch die Kirche kann nicht nur einfach gegen diesen drohenden Verlust protestieren. Sie muß auch deutlich machen, was der Sonntag für die ganze Gesellschaft bedeutet.

Rexrodt sagt, daß Handel und Bürger bald darauf drängen würden, am Sonntag nicht nur Brötchen einkaufen zu können — die Politik werde darauf reagieren.

Ob es diesen Wunsch überhaupt gibt, muß genau ermittelt werden. Erste Umfragen im Handel und unter den Kunden lassen dies bezweifeln. Die Kirchen müssen eine Diskussion anstoßen darüber, welche Werte uns in unserer Gesellschaft wichtig sind. Wir merken doch immer mehr, daß unsere Welt nicht nur durch die Ökonomie zusammengehalten wird, sondern durch den Wechsel von Arbeit und Besinnung, ohne den eine Gemeinschaft nicht existieret.

Werden die Kirchen Widerstand leisten gegen eine weitere Aufweichung des Sonntags als Ruhetag?

Die Kirchen werden deutlich sagen, was sie zu sagen haben: Hände weg vom Sonntag! Interview: Philipp Gessler