Weiber! Saufen! Fliegen! - Juchhe!!!

■ Die Berliner Volksbühne gastierte mit Frank Castorfs schmissigem „Teufels General“ am Schauspielhaus

Wer die Welt untergehen oder die Welt aufgehen sieht, kann sich nicht auf ihr befinden. So will es die Geographie. Peter Schubert, Bühnenbildner, war mit ihren Gesetzen natürlich vertraut, als er den Schauplatz von Des Teufels General als verlorenen Ort im Universum entwarf. Ein durch Verjüngung der Seitenwände flugzeughallengroß erscheinender Saal gibt durch seine großen Tore den Blick frei auf die ewige Nacht des Weltalls. Nur hinten hängt, bunt und idyllisch wie ein schöner Luftballon, das Erdenrund, der alte Kerkerschlund.

Die Figuren von Frank Castorfs jüngster Inszenierung sind nicht auf, aber doch ganz von dieser Welt. Ihre Weltlichkeit zeigt sich genau in dem, was paradoxerweise der Preis für Bodenständigkeit im schlechtesten Biertischsinne ist: der Distanzierung vom Weltgeschehen und der Abspaltung vom eigenen Handeln. Generalluftzeugmeister Harras bombt für Hitler, aber klar: „Ich war immer nur ein Flieger.“ Auch seine Fliegeroffiziere und Kampfstaffelführer schließen auf die Frage nach dem eigenen Tun und der Befindlichkeit ihm Chor die Augen: „Fronturlaub und die Familie, ja, die Buben sind auch schon groß geworden.“

Carl Zuckmayer schrieb das Drama 1942 in Andenken an einen befreundeten General, der ihm 1936 zur Emigration geraten hatte; Zuckmayer aber, „der Fliegerei verfallen“, blieb bei der Luftwaffe. Bei Castorfs Inszenierung des Stücks, das bis 1955 in der BRD 5000mal, in der DDR bis zu ihrem Ende nicht einmal aufgeführt wurde, ist von möglichen Sympathien für den General natürlich nichts übrig.

Harras und die Offiziere agieren genau wie der Kulturleiter und die Nazi-Diva als kindisch brabbelnder Haufen Dummbatzen. Einer so machtgeil und lächerlich wie der andere, und in ihrem jovialen Kasinojargon gänzlich austauschbar. Austauschbar ist wörtlich gemeint: Die Nazis tanzen nicht nur Polonaise, sondern Castorf läßt im Ringelreihen die Darsteller wechseln. Im fast gänzlich gebellten ersten Akt mimt Corinna Harfouch grandios den feigen, aber sinnlichen „Weiber! Saufen! Fliegen!“-General; ab dem zweiten Akt übernimmt Bernhard Schütz, der vorher Pützchen war, die nun von Sophie Rois gespielt wird, die anfangs Dr. Schmidt-Lausitz war und so fort.

Der Intendant der Volksbühne, berühmt für Stück-Zertrümmerungen, attackiert das Stück weniger als daß er es skelletiert. Eine Farce wird daraus, eine Nummern-Revue, gespielt von dem glänzenden Ensemble, in dem vor allem die Frauen – Harfouch, Rois und Jea-nette Spassowa – brillieren. Es werden keine Charaktere, sondern Rollen gespielt und erfunden. Je scheinbar privater die Präsentation wird, desto grotesker, abgefahrener und großartiger ist sie. Bisweilen weiß man gar nicht mehr, in welchem Film man sich befindet – bis einem die schon obligaten Publikumsbewürfe, Vögeleien und diesmal zusätzlichen Kotzorgien unzweifelhaft bedeuten, daß dies ein Castorf-Massaker ist.

Es gibt Momente, in denen man den Schnellvorlaufknopf drücken möchte, aber verpaßt haben will man diese anarchisch hemmungslose Reihung von Geschmacklosigkeiten auf keinen Fall. Stark macht sie, daß Castorf bei aller Lust am theatralischen Bürgerschreck die Welt nicht aus den Augen läßt: Sie hängt brav und rund am Bühnenhimmel und besticht mit idyllischen Atompilzen.

Christiane Kühl