„Schau, es ist dunkel, du kannst essen!“

Muslimische Familien in Eilbek feiern das Fastenbrechen im Ramadan  ■ Von Mechthild Klein

Es ist Viertel nach vier. Draußen wird es langsam dunkel. Im Flur der Reihenhaus-Wohnung im Hamburger Stadtteil Eilbek duftet es nach gebackenem Brot und Braten. In wenigen Minuten beginnt hier für drei muslimische Familien das Fastenbrechen. Alle beeilen sich, einen Platz im Wohnzimmer zu ergattern. „Schließlich soll man auch rechtzeitig anfangen zu essen“, meint der 33jährige Gastgeber Azmi Akgül. Zehn Stunden lang haben die befreundeten drei Ehepaare aus der Türkei, Afghanistan und Chile nichts gegessen.

Am Freitag hat der islamische Fastenmonat Ramadan begonnen. Für gläubige Muslime heißt das, sich 29 Tage lang tagsüber jeglicher Nahrung zu enthalten, darunter fallen auch Getränke, Zigaretten und Sex. „Selbst Tabletten sind nicht erlaubt“, erklärt der Afghane Nader Alimi. Nach dem Koran sollen alle erwachsenen Muslime fasten.

Zur Vorspeise gibt es Datteln

Der Wohnzimmertisch ist inzwischen reichlich gedeckt. In Schüsseln und Tellern stapeln sich hack- und lauchgefüllte Brote (Börek), liegen in Essig eingelegtes Gemüse (Turschu) und grüner Salat.

Nach und nach verstummen die Gespräche über Arbeit und Alltag. Jetzt ist es soweit. Die Gastgeberin reicht jedem eine Dattel, verspeist wird sie schweigend mit einem Schluck Wasser. Das Fasten ist gebrochen, in den nächsten Stunden darf geschlemmt werden. Für das Festessen standen die drei Ehefrauen schon Stunden vorher am Herd. Auch jetzt sorgen sie für die Bewirtung. „Die Männer sind eben von zu Hause verwöhnt“, meint Azmi Akgüls Frau Acangül, „und wir müssen das ausbügeln.“ Sie glaubt, daß Männer zu 99 Prozent nicht im Haushalt helfen. Ihren elfjährigen Sohn und die sieben Jahre alte Tochter will sie anders erziehen. „Die müssen beide lernen, Kleinigkeiten in der Küche zu machen.“

Um pünktlich ab sechs Uhr morgens mit dem Fasten beginnen zu können, stehen die Akgüls in den nächsten Tagen stets um 4.45 Uhr auf, denn dann ist das Frühstück noch erlaubt. Am Arbeitsplatz löst das oft Befremden aus. Nader Alimi arbeitet in einem Lagerhaus. „Viele meiner Kollegen“, so erklärt der 36jährige, „können gar nicht glauben, wie wir das Fasten und zugleich die Arbeit durchhalten können.“ Während andere das Butterbrot auspacken oder in die Kantine gehen, guckt Nader in die Röhre. Die meisten Kollegen akzeptieren das. Oder sie witzeln: „Schau mal, es ist dunkel, du kannst essen.“

In der Küche der Akgüls spielen und toben die Kinder. „Sie sind noch zu jung für das Fasten“, erklärt der Vater. Außerdem gehen sie in die Schule, „durch das Fasten könnte ihre Konzentration geschwächt werden“. Dem elfjährigen Ilker ist das nur recht. Er geht zwar schon ins Gymnasium, aber fasten will er erst, „wenn ich gaaaaanz groß bin.“

Mittlerweile ist der zweite Gang mit gewürzter Tomatensuppe (Tarhana) und Hackfleischsuppe (Izmir-Köfte) beendet. Eine riesige Platte mit Kabli, einem afghanischen Reisgericht mit Lammfleisch und Rosinen, kommt auf den Tisch. Das ist Karens Werk. Die Krankenschwester aus Chile ist seit neun Jahren mit Nader Alimi verheiratet. Aus Solidarität fastet sie jetzt zum zweiten Mal mit. Leicht fällt ihr das nicht. „Vor allem, daß man nicht einmal etwas trinken darf. Selbst beim Kochen konnte ich das Essen nicht abschmecken.“ Das koste sie viel Überwindung, zumal sie sonst „den halben Topf probieren“ würde, fügt sie grinsend hinzu.

Obwohl alle Erwachsenen eigentlich noch Heißhunger haben müßten, zeigen sich nach einer Stunde schon erste Sättigungsanzeichen. „Soviel kann man zu Ra-madan einfach nicht essen, weil der Magen vorher total leer war.“ Das sei eben eine „Art moderne Diät“, meint Azmi Akgül. Nein, zugenommen habe zu Ramadan noch niemand von ihnen. Nur die 21jährige Jale Yildis durfte, weil sie schwanger ist, als einzige aus der Runde tagsüber essen.

Früher war es Brauch, daß die Männer nach dem Fastenbrechen zum Abendgebet in die Moschee gingen. „Heute bleiben mehr und mehr in der Familie“, meint Azmi Akgül. Sein Freund, der 26jährige Elektriker Mustafa Yildis, will zumindest am Ende des Ramadans, kurz vor dem dreitägigen „Zuckerfest“ in die Moschee gehen. Auf das Ende der Fastenzeit freuen sich vor allem die Kinder: Sie werden dann mit Süßigkeiten überhäuft, daher auch der Name „Zuckerfest“.

Am Tisch drehen sich die Gespräche inzwischen um die Verwandtschaft. Erst unlängst kehrten die Eltern von Acangül nach 25 Jahren wieder in die Türkei zurück. „Die sind Teil der verlorenen Generation“, meint ihr Mann Azmi. Acangüls Eltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland, als ihre Tochter vier Jahre alt war. Mit 13 Jahren wurde die heute 31jährige nach Deutschland geholt. „Und nun haben mich meine Eltern wieder allein gelassen.“ Acangül klingt traurig, als sie das sagt.

Zum Nachtisch wird Tee gereicht

Doch zurück zum Speiseplan, für die Hausfrau gibt es noch genug zu tun. Nach dem Hauptgericht trinken alle starken türkischen Tee. Auch für die süßen Leckereien aus Blätterteig, Sirup und Pistazien, die zum Teil eigens für den Ramadan gebacken wurden, ist offenbar noch Platz in dem allmählich überforderten Magen. Etwas Süßes gehöre in jedem Fall dazu, denn damit stärke man sich, sagt Jale Yildis. Immerhin soll vom Naschen auch die Rede der Menschen süß und lieblich werden, behauptet ein türkisches Sprichwort.

Gastgeberin Acangül Akgül und ihr Mann verstehen sich als liberale Muslime. Kopftücher gibt es bei ihnen nicht, und sie gehen auch nicht jeden Tag in die Moschee. „Fasten ist für uns dennoch selbstverständlich“, erklärt Acangül. Sie freut sich jedes Jahr auf den Ramadan-Monat. Dabei mache ihr das Kochen für ihre Kinder überhaupt nichts aus. Schließlich weiß sie sich in der Gemeinschaft von Fastenden gut unterstützt.

Neben dem geselligen Aspekt zähle das Ramadan-Fasten aber vor allem wegen der religiösen Begründung: „Es ist Gottes Gebot und Befehl“, erläutert Mustafa Yildis. Dabei „soll man nachfühlen, wie es den Armen geht, wenn sie hungern müssen“. Den Verzicht könne man aber nur üben, wenn man von der Sache überzeugt sei und an Gott glaube, ergänzt Alimi. Zugleich gelte das Fasten auch als gute Tat, zu der jedoch niemand gezwungen werden könne. Zwar habe jeder Muslim die Pflicht, einen Glaubensbruder auf das Fastengebot hinzuweisen. Man würde aber auch akzeptieren, wenn jemand nicht faste und trotzdem zum gemeinsamen Nachtmahl kommen wolle.

In jedem Jahr beginnt Ramadan zehn bis elf Tage früher, da sich der islamische Kalender am kürzeren Mondjahr orientiert. Im nächsten Jahr fällt der Beginn des Ramadan daher auf den Silvestertag. „Bedauerlich ist das schon“, meint Karen Alimi. „Schließlich können wir dann nicht einmal mit Sekt anstoßen.“