■ Nachschlag
: „Der Schrei“ – Steve Lacy vertont Gedichte von Taslima Nasrin

„Musique cuisinée – gekochte Musik“ nennt der Jazz-Saxophonist und Komponist Steve Lacy sein neuestes Werk „The Cry“, das am Wochenende im Hebbel-Theater aufgeführt wurde. Die Zutaten sind bekannt, wenngleich das Rezept noch nicht ganz ausgefeilt ist. Die Basis der neuen Kreation sind Gedichte der im schwedischen Exil lebenden Schriftstellerin Taslima Nasrin, die er bei gemeinsamen DAAD-Stipendien in Berlin kennenlernte. Die Struktur der Gedichte – „denn Sprache ist Struktur“, so Lacy – werden von einer eigenwillig zusammengesetzten Band mit Saxophon, Baß, Percussion, Akkordeon, Cembalo und Gesang neu interpretiert.

Eher wie eine Souffleuse als eine Autorin sitzt Taslima Nasrin in ihrem Sari am Bühnenrand und liest mit weich fließender Intonation die Gedichte teils auf Bengalisch, teils auf Englisch. Das Leben der Frauen in ihrer Heimat, zerrissen zwischen patriarchalischer Unterdrückung und der Sehnsucht nach Aufbruch, Autonomie und Liebe, wird darin beschrieben. Trauer, Verletzung, Mißverstehen und unerfülltes Begehren sind vorherrschende Motive. „Es ist Musik, die in mir lärmt“, sagt eine Zuschauerin. Das soll sie auch.

Nahezu unvereinbar mit der Rezitation von Taslima Nasrin werden die Texte dann jedoch von Irène Aebi aufgenommen und auf eine an Musik von Weill und die Dreigroschenoper erinnernde, aufgeregt auf der Bühne hin und her tänzelnde Manier gesungen. An dieser Stelle entsteht ein unerträglicher Bruch, denn so einfach läßt sich Asiatisches und Europäisches nicht in einen Topf werfen, ohne daß sich ein Gefühl von Vereinnahmung einstellt.

Für Taslima Nasrin, die Bangladesch verlassen mußte, weil fanatische Muslime sie mit dem Tod bedrohten, ist „The Cry“ trotz aller Verfremdung jedoch eine Chance, ihre Gedichte in Europa zu Gehör zu bringen. Zur Entfremdung, zur Fremde und zur Verfremdung sieht sie keine Alternative. Alle bedienen sich ihrer Arbeit in Interpretationen. Einmal wird sie aufgrund einer bestimmten Auslegung ihrer Texte zum Tode verurteilt, ein anderes Mal wird insbesondere von deutschen Feuilletonisten bezweifelt, ob das überhaupt Literatur ist, was sie schreibt. Jetzt wird sie musikalisch von einer Kultur in die andere weitergereicht. Und wie immer hören alle nur das, was sie kennen. Unbeabsichtigt ist es Steve Lacys Verdienst, mit seiner Oper diese kulturelle Arroganz deutlich zu machen. Waltraud Schwab