Fähre nach Lesbos

■ AXE ist nicht für alle da - oder: Der Werbespot, der Frauen provoziert

Werbepausen sind etwas Schreckliches. Vor allem tagsüber, zur Prime time der Hausfrauen – wenn Du darfst allen Frauen, die so bleiben wollen, wie sie sind, unbehelligt die Absolution zuflüstern darf –, gelangt ein bedenkliches Sammelsurium anachronistischer Rollen- und Geschlechterstereotypen und anderer hausbackener Hinterlassenschaften ungehindert zur Ausstrahlung.

Ausgerechnet dort also, wo man alle 30 Sekunden auf das Schlimmste gefaßt sein muß, stolpern unsere abgestumpften Sinne derzeit über den AXE-Werbespot. „Pretty babies gonna find out today...“ plärrt er unvermittelt los; doch was genau die pretty babies heute herausfinden werden, verraten allein die rastlosen Bildfolgen: Kulleräuglein, die pretty Protagonistin des Spots, hat verschlafen und ist spät dran. Doch wohin sie auch kommt an diesem Tag, egal ob Treppenhaus, Einkaufszentrum oder Omnibus, überall himmeln sie die pretty babies wort- und willenlos an. Kulleräuglein macht Kulleraugen und staunt, als wäre sie auf der Fähre nach Lesbos.

Und wir staunen mit. Sollten wir tatsächlich gerade Zeuge geworden sein, wie die gesellschaftliche Utopie eines vorurteilsfreien Liberalismus im Populären Niederschlag findet? Immerhin will Werbung ja nicht die Welt verbessern, sondern den Umsatz steigern. Weshalb aber ausgerechnet ein Herren-Deodorant freimütig lesbische Begehrlichkeit feilbieten sollte, bleibt zunächst noch unklar.

Kulleräuglein wird indes plötzlich so einiges klar: AXE ist verantwortlich für ihre unmißverständlich homoerotische Attraktivität, – sein AXE. (Auch der Zuschauer hatte ihn zu Beginn des Spots kurz zu Gesicht bekommen, den Unschuldsknaben, bei dem Kulleräuglein augenscheinlich die Nacht verbracht hatte; friedlich schlummerte er im Bildhintergrund, während sie kopflos durch seine Wohnung flitzte.) Es war sein AXE, mit dem sie sich schließlich in akuter Ermangelung von Alternativen parfümiert hatte, bevor sie hinaus in die Welt eilte.

Also doch bloß die alte Mär von der olfaktorischen Unwiderstehlichkeit, von der schon Patrick Süskind (alp-)träumte? Die verbliebene Sendezeit jedenfalls widmet der Werbespot alsdann Kulleräugleins unerwarteter Rückkehr in die Wohnung des Unschuldsknaben, wo sie ihn sichtlich erbost mit seinem Wunderdeo konfrontiert. Wir hingegen wollen die verbliebene Sendezeit dazu nutzen, den Spot noch einmal in den höchsten Tönen zu loben, denn wenn er schließlich zu Ende geht, haben wir dazu keinen Grund mehr: „AXE. Strictly for men“, lautet die lakonische Botschaft, die uns zu guter Letzt mit auf den Weg gegeben wird. Die Möglichkeit homosexueller Anziehungskraft, die der Spot in seinen zweifelsohne virtuosen Bildern zelebriert, wird durch das nachgereichte „strictly for men“ – sinngemäß übersetzt mit: ausschließlich für den Gebrauch innerhalb der konventionellen Parameter sexueller Orientierung. Die „lesbischen“ Erfahrungen Kulleräugleins waren also keine unorthodoxe Provokation heterosexuellen Normalitätsdenkens, sondern bloß ein unerfreuliches Versehen „Marke dumm gelaufen“.

In früheren Kampagnen war AXE der Duft, der Frauen dazu provozierte, im Angesicht echter Kerle ihre Sonnenbrillen auf den Asphalt fallen zu lassen. Das war nicht besonders fortschrittlich, aber immerhin offensichtlich. Der neue AXE-Spot hingegen provoziert, indem er seine reaktionäre Botschaft in ein progressives Gewand kleidet. Das ist symptomatisch und dem Spot gerade deshalb übel zu nehmen, weil er so auch junge Menschen mit Sinn für Ästhetik und hintergründig inszenierte Pointen verkaufsfördernd zu amüsieren weiß, selbst wenn die Pointe an sich das Niveau eines durchschnittlichen Junggesellenstammtischs kaum übersteigt.

AXE ist eben ein Deo für Männer, nur für Männern – und Werbung ein verläßlicher Spiegel des gesellschaftlichen Status quo. Christoph Schultheis

Sendetermine z. B. heute 13.25 Uhr (RTL), 15.50 Uhr (Sat.1), 22.20 Uhr (Viva)