Entschädigung nur für den Lachs

Die kleinen Leute gingen nach dem „Braer“-Tankerunglück vor Shetland leer aus. Hilfe nur für organisierte Fischer und Farmer  ■ Aus Shetland Hans-Jürgen Marter

Wenn Margaret Pickbourne an die Tage des Januar 1993 zurückdenkt, könnte sie immer noch das Heulen kriegen. Auch vier Jahre nach der Havarie des unter liberianischer Flagge fahrenden Tankers „Braer“ hat Margaret Pickbourne noch keinen Penny Entschädigung gesehen. Und das, obwohl ihr Cottage und ihr Garten für Wochen von einer hartnäckigen und giftigen Brühe aus Öl und Chemikalien überzogen war.

Tränen sind Pickbournes Sache nicht, sie ist nur noch wütend. „Es kann ja wohl kaum meine Schuld sein, daß die ,Braer‘ hier auf die Felsen lief“, sagt die resolute Mittvierzigerin, „wenn ein Lastwagen in meinen Vorgarten fährt, zahlt die Versicherung, gegen einen Tankerunfall kann ich mich nicht versichern.“

Als die „Braer“ am Morgen des 5. Januar 1993 manövrierunfähig auf die Felsen an der Südspitze der Shetlandinseln läuft, ist dies der Auftakt zu einem der dramatischsten und ungewöhnlichsten Tankerunfälle der letzten Jahre. Weltweit wird das Geschehen von Reportern und Kamerateams in die gute Stube geliefert. Zehn Tage schlägt ein nicht enden wollender Sturm die 241 Meter lange „Braer“ so lange gegen die Felsen, bis auch der letzte Tropfen der 85.000 Tonnen Öl ausgelaufen ist. Der Sturm verteilt das Öl großflächig über die Insel – die Luft ist ölgetränkt.

Schafe und Shetlandponys werden in Sicherheit gebracht, viele Bewohner suchen Unterschlupf bei Verwandten und Bekannten – Evakuierungspläne liegen bereit. Ein feiner Ölfilm legt sich über das Land, verseucht Äcker und zerstört die Habe vieler Menschen.

Zwar ist heute kein Öl mehr zu finden, und auch auf den glimpflich davongekommenen weltberühmten Vogelkolonien der Shetlandinseln wird wieder fleißig gebrütet, doch die Nachwirkungen der Havarie sind in dem kleinen Dorf Quendale unweit der Unglücksstelle noch allgegenwärtig. „Nur wenige Monate vor der „Braer“ hatten wir etliche tausend Pfund in unser Haus gesteckt“, erzählt Margaret Pickbourne, „für neue Fenster und Türen und ein neues Dach.“

„Heute“, so berichtet sie verbittert weiter, „leckt es durchs Dach, da das Öl die Dachziegel angegriffen hat, zieht es durch Fenster und Türen, da das Dichtungsmaterial vom Öl aufgelöst wird. Zwei Jahre lang konnte ich nichts im Garten ziehen, da die Erde ölgetränkt war und nichts keimen wollte.“

Der International Oil Spill Compensation Fund (IOPCF), aus dem erdölimportierende Staaten Schadensersatzansprüche bei Ölunfällen begleichen, hat Margaret Pickbournes Kompensationsforderungen abgelehnt. Begründung: Es sei nicht erwiesen, daß das Öl den Schaden angerichtet habe.

In 13 Gutachten wurde um den Schaden gestritten

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, bedurfte es 13 Gutachten mit sich widersprechenden Inhalten. Mrs. Pickbourne dazu: „Erst hatten wir hier einen Gutachter, der mir wohlgesinnt war. Der wurde dann ausgetauscht.“ Eine Stellungnahme war vom IOPCF nicht zu erhalten, da man sich „nicht zu individuellen Fällen äußern“ könne.

Und da alle Ansprüche an den Fonds, die auch drei Jahre nach dem Unfall, also am 5. Januar 1996, noch nicht anerkannt sind, verfallen, bleibt Margaret Pickbourne heute nur der aufreibende und vor allem teure Weg über die Gerichte.

Der Parlamentsabgeordnete der nördlichsten britischen Inseln, Jim Wallace, hat jetzt in einem Brief an den zuständigen britischen Verkehrsminister Sir George Young appelliert, den Geschädigten finanziell unter die Arme zu greifen. Eine Antwort steht noch aus.

Etwa 47 Millionen Pfund (über 120 Millionen Mark) hat der IOPC-Fonds bislang an Lachsfarmer, Fischer und Landwirte ausgezahlt. Medienwirksam wurden in den ersten Monaten nach dem Tankerunglück Tausende Tonnen von Zuchtlachs notgeschlachtet und zu Tierfutter verarbeitet, die geschädigten Fischzüchter wurden großzügig entschädigt.

120 Millionen Mark Schaden wurden bezahlt

Landwirte in der geschädigten Region streichen jahrelang hohe Summen für das Nichtbestellen ihrer Felder ein. Muschelfischer erhalten eine wöchentliche Ausgleichszahlung fürs Nichtauslaufen. Das böse Wort von der „Braer“-Bonanza macht die Runde. Es sind Privatleute, Häuschenbesitzer, Rentner, Leute ohne Lobby, die leer ausgehen.

In der Tat, die Vereinigung der Fischer Shetlands (SFA), die Vereinigung der Lachszüchter Shetlands (SSFA), der Bauernverband (NFU), sie alle zeigen sich zufrieden mit dem Schadensersatz.

John Goodlad, Geschäftsführer der Shetland Fishermens Association (SFA) bezeichnet den Umgang mit dem IOPCF als „konstruktiv“ und „erfolgreich“. Seine Vereinigung kämpft jetzt noch um einen finanziellen Ausgleich für die Schädigung des Markennamens „Shetland“.

Dies allerdings geschieht auf außergerichtlichem Wege. Die SFA hat dafür einen Schadensersatzspezialisten aus Aberdeen angeheuert, der prozentual an der Ausschüttung beteiligt werden muß. Quantum Claims hat auch schon im Auftrag der Geschädigten der Piper-Alpha-Bohrinselexplosion sowie im Auftrag der Angehörigen der Opfer des Bombenanschlags auf den PanAm-Flug über Lockerbie (1988) erfolgreich agiert.

Margaret Pickbourne und mit ihre viele einfache Hausbesitzer auf den Shetlandinseln haben diese Möglichkeit nicht.