Neofundamentalisten greifen an

Bei den nordrhein-westfälischen Grünen sorgt eine kritische Koalitionsbestandsaufnahme der Fundis für Wirbel. Umweltministerin Höhn: „keine saubere Bilanz“. Heute Klausurtagung  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Diese fünfzehnseitige Bilanz wird die nordrhein-westfälischen Grünen noch lange beschäftigen. Die Aufregung ist groß. Während das von den grünen Landtagsabgeordneten Manfred Busch, Ingrid Fitzek, Daniel Kreutz und Alexandra Landsberg in der vergangenen Woche vorgelegte „Positionspapier“ bei Realos und gemäßigten Linken zunächst nur Flehen und Fluchen auslöste, frohlockte der Düsseldorfer CDU-Oppositionschef Helmut Linssen über dieses „Dokument der Zerstrittenheit“. Im Kern kommen die vier AutorInnen zu dem Ergebnis, daß „fast alle“ Konflikte in der Koalition mit der SPD im letzten Jahr „zu Lasten der Grünen bereinigt“ worden seien. Auch der gerade verabschiedete Landeshaushalt biete nicht viel.

„Nicht mehr als grüne Tupfer im grauen Einerlei“ habe man da durchsetzen können. Verantwortlich dafür sei der mangelnde Durchsetzungswille im eigenen Lager. Und weiter: „Unsere eigene koalitionspolitische Strategie und Taktik hat wesentlich zum ,Erfolg‘ der Strategie der SPD-Hardliner, Reformen abzublocken, beigetragen.“ Wenn sich diese politische Linie bis zum Bundestagswahlkampf fortsetze, führe das dazu, „unsere WählerInnen restlos zu enttäuschen“. Deshalb sei jetzt eine „Kurskorrektur notwendig“. Wenn die mißlinge, stelle sich „objektiv auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit unserer weiteren Regierungsbeteiligung“. Bei einer Fortsetzung des bisherigen Kurses werde die Düsseldorfer Koalition „eher zu einer Belastung für die Reformhoffnung im Bund als zu einem ,Modell für Bonn‘“.

Als „schlichtweg dummes Zeug“ wertete der zu den Realos zählende Parteisprecher Rainer Priggen solche Überlegungen. In einem Brief an die Delegierten des am kommenden Sonntag tagenden Parteirates kritisiert Priggen die Bilanz als „sehr lückenhaft“ und „außerordentlich unsolidarisch“.

Eine Stimmungsmache mit falschen Zahlen wirft der grüne Bauminister Michael Vesper den AutorInnen vor. So sei die Aussage, der Beitrag für rationelle Energienutzung und erneuerbare Energiequellen nähere sich lediglich dem Fördervolumen an, das schon einmal zu Zeiten der SPD-Alleinregierung 1985 erreicht worden sei, „falsch“. Seit Eintritt der Grünen in die Regierung hätten sich die Mittel auf 48,8 Mio. „praktisch verdoppelt“, zitierte er eine Stellungnahme des Bauministeriums.

Auch die Behauptung, die Umsetzung des 13 Milliarden Mark umfassenden Programms „Arbeit und Umwelt“ sei über „eine Festlegung der in Frage kommenden Haushaltstitel bisher nicht hinausgekommen“, sei „falsch“. Tatsächlich liefen allein im Bauministerium schon entsprechende Programme in Höhe von 700 Millionen Mark.

Nicht viel anders klingt die Kritik von Umweltministerin Bärbel Höhn, die einst mit Busch und Kreutz zusammen im linken Forum die politischen Fäden zog. Das Papier biete „eindeutig keine saubere Bilanz“. Viele „grüne Erfolge“ würden „nicht benannt“ und manche Angaben seien „einfach falsch“. Als „ganz ärgerlich“ bezeichnete Höhn die Ausführungen zur Abfallpolitik, „die die tatsächliche Abfallpolitik der Landesregierung nicht wiederspiegeln“. Über wichtige neue Ansätze in der Umwelt-, Verbraucher- und Landwirtschaftspolitik verlören die AutorInnen kein Wort. Etwa über die 255 Millionen Mark, die ab sofort für eine „nachhaltige Wasserschutzpolitik“ – allein 100 Millionen zur Flächenentsiegelung – zur Verfügung stünden. Dieses Programm sei „beispielhaft für die ganze Bundesrepublik“.

Nur die Bilanz zur Frauenpolitik, insgesamt eine der fünfzehn Seiten, für deren Formulierung die wirtschaftspolitische Sprecherin Landsberg verantwortlich war, nahm Höhn gegenüber der taz von ihrer Kritik aus. Wer die Ergebnisse ansonsten so bewerte wie in dem Papier geschehen, der müsse mit der Koalition „Schluß machen“. Höhn wörtlich: „Diese Schlußfolgerung fehlt in dem Papier.“

Das sieht Manfred Busch, der nach wie vor als parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer eine wichtige Schaltstelle bei den Bündnisgrünen besetzt, ganz anders: Man habe ausdrücklich „zum jetzigen Zeitpunkt“ die Beendigung der Koalition „verworfen“, sagte Busch im WDR. Und weiter: „Wir wollen in dieser Koalition erfolgreich arbeiten, dazu müssen aber die Voraussetzungen verbessert werden.“

Dazu, wie das geschehen soll, bieten die AutorInnen indes nur wenig Konkretes: „Wir müssen lernen, bei unangemessenen Forderungen der SPD nein zu sagen und unser politisches Gewicht auch in den Verhandlungen deutlich werden zu lassen.“ „Wo ist der Instrumentenkasten“, diese Frage des umweltpolitischen Sprechers der Fraktion, Gerd Mai, bleibt unbeantwortet.

Den vermeintlichen Hauptfehler der Grünen beschreiben Busch & Co so: „Wir haben es der SPD leicht gemacht zu glauben, sie müsse nur lange genug hart bleiben, dann würden die Grünen schon den Rückzug antreten, bevor es ,richtig ernst‘ wird.“ Diese Entwicklung gelte es nun „umzukehren“. Aus dem Munde von Busch klingt das bizarr, weil er selbst beim ersten großen symbolischen Konflikt, dem Streit um den Dortmunder Flughafen, die Grünen in diese Falle hineingetrieben hat.

In einer von Busch mitunterzeichneten Resolution aus dem Ruhrgebiet wurde die Strategie der vermeintlichen Härte am 25. Januar 1996 erstmals festgezurrt. Damals erging an die Landtagsfraktion die Aufforderung, dem Haushaltsplan des von Wolfgang Clement (SPD) geführten Wirtschaftsministeriums solange „nicht zuzustimmen“, bis die von Clement befürwortete Förderung des Dortmunder Flughafenausbaus und der Bau eines Autobahnteilstücks in Bochum vom Tisch sei. Dieses Junktim, daß unter dem Druck der linken Neofundamentalisten später auch der grüne Parteirat in etwas abgeschwächter Form als Forderung übernahm, endete für die Grünen in einem einzigen politischen Desaster. Von Busch & Co. In die politische Sackgasse – Koalitionsende oder totaler Rückzug – manövriert, blieb der Partei nichts als öffentlich die Segel zu streichen.

Mit ihren „törichten Festlegungen“, so beschrieb Buschs Fraktionskollege Siggi Martsch die Lage seinerzeit völlig zutreffend, hätten die „linken Hardliner“, die grüne Fraktion erst „handlungsunfähig“ gemacht. Jetzt, nur ein Jahr später, schicken sich jene, die „Kraftmeierei mit Politik verwechseln“ (Martsch), schon wieder an, die grüne Partei „vom Kurs der Nachgiebigkeit“ abzubringen. Die Fraktionsklausur heute dürfte spannend werden.