■ Debatte
: Der beste Kälteschutz: soziale Wohnungspolitik

Als Mitarbeiter eines Bremer Forschungsinstituts, das seit Jahren bundesweit Studien insbesondere zur Wohnungslosigkeit und ihrer Vermeidung durchführt, habe ich die Debatte in der taz mit großem Interesse verfolgt. So erfreulich es ist, daß nicht nur in der taz Wohnungslosigkeit und die Probleme der Obdachlosen thematisiert werden, so bedauerlich ist das regelmäßig schwindende öffentliche Interesse bei steigenden Temperaturen. Also schnell noch die Kältewelle nutzen:

1. Verschiedene landesweite Befragungen von alleinstehenden Wohnungslosen stimmen in einem wesentlichen Ergebnis immer überein: Die überwältigende Mehrheit der Wohnungslosen will eine Wohnung oder wenigstens ein eigenes Zimmer. Dies ist empirisch nachgewiesen für rund 90 Prozent aller Befragten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, es wird in Bremen kaum anders sein. Allenfalls für fünf Prozent kann gelten, daß sie ihre Situation nicht verändern und (gegenwärtig) keine Wohnung wollen (was aber auch nicht bedeutet, daß sie auf der Straße leben wollen).

2. Die übergroße Mehrheit von Wohnungslosen ist nicht deshalb wohnungslos, weil sie „sich zeitweilig oder für immer gegen alle festen Strukturen wendet“ (E. Steinhöfel), sondern weil sie auf für sie unüberwindliche Barrieren am Wohnungsmarkt trifft. Ohne staatliche Unterstützung ist die Wohnungssuche für sie in der Regel aussichtslos.

3. Häufig wird Wohnungslosen die „Wohnfähigkeit“ abgesprochen und unterstellt, sie könnten alleine in normalem Wohnraum nicht zurechtkommen. Die Begleitforschungen zu verschiedenen Modellprojekten der dauerhaften Wohnungsversorgung von Obdachlosen haben gerade kürzlich wieder eindrucksvoll bestätigt, daß auch langjährig obdachlose Personen in normalen Wohnungen wohnen bleiben. In einzelnen Fällen bedürfen sie dazu begleitender Unterstützung. Solche ambulanten Angebote müssen viel stärker ausgebaut und bedarfsorientiert gestaltet werden.

4. Die Bremer Versuche, Wohnungslosen bei der Versorgung mit Sozialwohnungen einen Vorrang einzuräumen, sind nicht wirkungslos, aber sie scheitern allzuoft, und das hat System. Mit den Wohnungsunternehmen wurden vertraglich Quoten für die Versorgung von Wohnungsnotstandsfällen vereinbart. Da es mehr Notstandsfälle gibt als anteilig freiwerdende Wohnungen, können sich die Unternehmen also selbst aussuchen, wem sie immer wieder keine Wohnung anbieten. Alle Versuche, für die besonders Benachteiligten eine gesonderte Belegungsmöglichkeit zu vereinbaren, sind gescheitert. Mehr noch: Die Quote (60 Prozent der jährlich freiwerdenden Sozialwohnungen an Wohnungsnotstandsfälle) wird nicht eingehalten und der realisierte Anteil sinkt seit der Unterschrift unter den Vertrag (1994: 45 Prozent, 1995: 39 Prozent). Bald wird der Vertrag vollends Makulatur, weil massenhaft Sozialwohnungen aus der Bindung fallen. Während dazu in Bonn beschwichtigend auf den kommunalen Wohnungsbesitz hingewiesen wird, wird dieser in Bremen gerade veräußert.

5. Statt zumindest Fördermitttel der Bundesregierung für eine gezielte und dauerhafte Versorgung von Wohnungslosen mit Normalwohnraum entsprechend einzusetzen, gab es in Bremen darüber ein unglaubliches Gerangel. Erst nach längeren Auseinandersetzungen zwischen Sozial- und Bausenator erklärte dieser sich schließlich bereit, ganze 14 Belegrechte in 1995 und sieben in 1996 für eine Direktversorgung von Wohnungslosen zur Verfügung zu stellen. Die Vermittlung und Verwaltung sollte über den Verein Wohnungshilfe erfolgen. Bislang wurden diesem ZWEI Wohnungen überlassen.

6. Zuzustimmen ist dem Hinweis, daß eine vernünftige Wohnungsversorgung von Wohnungslosen angesichts hoher Pflegesätze und teurer Hotelunterbringungen nicht am Geld scheitern kann. Und monatliche Kosten von weit über (oder gar mehreren) tausend Mark pro Bett werden ja nicht nur im Sozialzentrum der Inneren Mission und in Billigpensionen finanziert, sondern auch für die Unterbringung von wohnungslosen Drogenabhängigen und anderen Zielgruppen der Sozialbehörde (dabei zeigt sich übrigens auch, daß es in Bremen weit mehr als 300 wohnungslose Menschen gibt). Der Hinweis der Sozialdeputationssprecherin, daß mit den Geld, das das Jakobushaus pro Übernachtung erhält, noch alles mögliche andere finanziert wird, hilft auch nicht weiter. Wir haben erst kürzlich im Bundesauftrag für Hannover (wo dies nicht der Fall ist) errechnet, daß die Wohnungsversorgung von Obdachlosen auch bei Gewährleistung der im Einzelfall notwendigen sozialen Betreuung und Wohnungsverwaltung etwa die Hälfte der stationären Unterbringung kostet.

7. Nicht jedem Wohnungslosen ist mit einer Sozialwohnung oder einer Wohnung in einem großen Mietshaus gedient. Umso notwendiger ist es, auch unkonventionelle „Nischenlösungen“ zuzulassen. Aber wird das Interesse an den Obdachlosen auch in den Sommermonaten hoch genug sein, um öffentlichkeits- und politikwirksam gegen deren Vertreibung zu protestieren, die in Parzellengebieten eine für sie akzeptable Bleibe gefunden haben? Wo werden die ehemals Obdachlosen bleiben, die ohne Nachbarschaftskonflikte in einem freistehenden Häuschen an der Straßenbahnschleife bei der Stadthalle mit Wohnraum versorgt wurden, das plötzlich das ästhetische Empfinden von Stadtplanern stört?

Kältetote zu vermeiden ist ein wichtiges Ziel. Der sozialstaatliche Auftrag umfaßt aber – zum Glück immer noch – weit mehr als die Frostschutzmaßnahmen, über die gegenwärtig so gerne und viel debattiert wird!

Volker Busch-Geertsema Wissenschaftler bei der Gesellschaft für Innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) / Foto: Nikolai Wolff