Als die Wiesenschreiber putschten

Ein Jux und Hohngelächter: In seinem neuen Stück „Spät Weit Weg“ führt Helmut Krausser die Debatte um den „Anschwellenden Bocksgesang“ von Botho Strauß ad absurdum. Die Uraufführung war in Darmstadt  ■ Von Jürgen Berger

Der Jungkomponist Sebastian Lomé hat im Hause des Mäzens eine erste Aufführung seines Streichquintetts erlebt. Danach geht es im Salon weiter, mit dabei ist auch der Großfeuilletonist Deutschlands in Sachen Musik. Daß er den jungen Tonsetzer fertigmachen will, ist von vorneherein klar. Klar ist auch, daß man mit dem im Staatstheater Darmstadt uraufgeführten Stück „Spät Weit Weg“ genau in jenem Ambiente gelandet ist, in das sich Bühnenautoren derzeit am liebsten begeben: in den Kulturbetrieb nebst zugehöriger Schickeria.

Es könnte sich also um ein eitles Stück über die Eitelkeiten des Kulturbetriebs handeln, hieße der Autor nicht Helmut Krausser. Der ist, wie kaum einer aus der jungen Garde, der Sprache mächtig und hat dazu noch Witz und Ironie. Vor zwei Jahren gelang dem 32jährigen (in Esslingen geboren und derzeit in München und Berlin lebend) mit „Lederfresse“ das wohl erfolgreichste Debüt eines jüngeren deutschen Dramatikers. Uraufführung war am Hamburger Thalia Theater, 20 Bühnen spielten das Stück nach.

Letztes Jahr folgte „Spät Weit Weg“, sein zweites Stück. Wohl eher beiläufig, denn gleichzeitig beendete Krausser „Thanatos“, einen der wichtigsten Romane der letzten Jahre, den man, einmal angefangen, nicht mehr beiseite legt. Spannend also die Frage, was da parallel entstanden ist. Schon die Lektüre allerdings macht deutlich, daß es Helmut Krausser wohl um einiges ging, kaum aber um ein Theaterstück. Er hat Befindlichkeiten des deutschen Kulturmarkts auf mehrere Figuren verteilt und das mehr oder weniger gestörte Wechselverhältnis zwischen Literaten, Musikern, Künstlern und ihren Kritikern ins Zentrum gestellt.

Gut kommt dabei keiner weg. Egal, was sie vorgeben, in Wirklichkeit hat die gemischte Schwadroneursclique in gehobenem Ambiente nur den Unterleib und das Penetrieren desselben im Sinn. Die in Unehren alternde Herausgeberin einer Tageszeitung etwa ist irgendwo im Sado-Maso-Bereich angesiedelt („Wie ich mich hasse. Wenn man so, als ausgereizte Frau, betteln muß um jeden Gnadenstoß“), was in Darmstadt leidlich verworfen dargestellt wird.

Till Sterzenbach kann als Großkritiker Grodek da schon eher den Eindruck vermitteln, daß sich auch der Schreibtischtäter nicht nur in Gedanken auf dunklen, libidinösen Feldern tummelt. Der Mann hat was Gefährliches, während Jungkomponist Lomé (Helmut Zhuber) in Darmstadt nur als Jüngelchen inszeniert ist. Daß des Großkritikers Beißreflex angesichts solch eines schwächlichen Gegenparts funktionieren soll, leuchtet nicht ein.

Stück und Uraufführung mühen sich voran, spannender wird es erst, als Krausser als erster Theaterautor die Debatte um Botho Strauß' „Bocksgesang“ thematisiert und gleichzeitig ad absurdum führt: Der gedemütigte Tonkünstler erlaubt sich neonazistische Entgleisungen und will den jüdischen Musikkritiker provozieren. Gleichzeitig putschen die Wald- und-Wiesenschriftsteller des literarischen Großraums Würzburg- Wuppertal, stürmen das deutsche Feuilleton und rufen eine Kulturrepublik der Mittelmäßigkeit aus.

Botho Strauß' Untergangsszenarium einer Diktatur medialer Mediokrität scheint wahr und Großkritiker Grodek zum letzten Verfechter eines elitären Kunstbegriffs zu werden. Wenn die Würzburg-Wuppertaler dann die Villa des Mäzens einnehmen wollen, bereitet er sich stilgerecht auf seinen Harakiritod vor.

Am Ende war natürlich alles nur ein Jux und Hohngelächter – auf sprachlich hohem Niveau zwar, aber ohne dialogische Aufbereitung. Der Regisseur Thomas Krupa reagierte darauf hilflos. Daß alle Krausser-Figuren lediglich auf Pointen hin sprechen, ließ ihn zu einem merkwürdigen Mittel der Stilisierung greifen. Wenn der Jungkomponist sich zum Beispiel an die Frau seines Mäzens ranmacht, erstarren alle anderen in Posen, um den beiden eine pseudointime Situation zu gönnen.

Und das ausgerechnet in Darmstadt, wo das Verhältnis von Stadt und Theater sowieso schon ein Kapitel für sich ist! Vor Jahren gab es dort unter Klaus Weise (heute Intendant des Theaters Oberhausen) eine kurze Blüte des Schauspiels. Beendet wurde sie durch Darmstadts damaligen Oberbürgermeister, der zusammen mit dem Theaterkritiker des Lokalblattes dafür sorgte, daß Klaus Weise gehen mußte. Der Oberbürgermeister hieß sinnigerweiße Metzger und hatte zuvor schon während der Büchner-Preis-Verleihung an Erich Fried eine Rede gehalten, die Fried dazu veranlaßte, empört den Saal zu verlassen.

Nach Weise kam das Sprechtheater nicht mehr auf die Beine, erst seit dieser Spielzeit versucht der neue Intendant Gerd-Theo Umberg einen Konsolidierungskurs. Im Schauspiel wird er vom Regieteam Thomas Krupa, Thomas Janßen und Bernarda Horres (eine ehemalige Assistentin von Einar Schleef) getragen, die ein eher unbewegliches Publikum in den Betonbau in Darmstadts Mitte locken sollen. Ein ziemlich harter Job, der nach Helmut Kraussers „Spät Weit Weg“ nicht leichter fallen dürfte.

Helmut Krausser: „Spät Weit Weg“. Regie: Thomas Krupa. Bühne: Andreas Jander. Kostüme: Gabriele Wasmuth. Mit Helmut Zhuber, Karin Klein, Karin Nennemann, Till Sterzenbach u. a., Staatstheater Darmstadt.

Nächste Vorstellungen am 15., 21., 25. und 30. Januar