■ Kommentare Kaum Protest gegen den Paragraphendschungel
: Steuerfromme Wesen

Als der französische Präsident Charles De Gaulle 1960 eine „radikale Vereinfachung des Steuersystems“ ankündigte, gab es schon nach kurzer Zeit den Witz: Die künftigen Steuererklärungen bestehen nur noch aus vier Punkten: 1. Wieviel nehmen Sie ein? 2. Wieviel geben Sie aus? 3. Wieviel bleibt demgemäß übrig? 4. Das schicken sie dem Finanzamt. Vier Jahre später, die Reform war nun angeblich realisiert, ergänzten die Franzosen den Witz: Aufgrund leider unabdingbarer staatlicher Verpflichtungen wird Punkt 4 so geändert: Das nehmen Sie mal zwei und schicken es dem Finanzamt. Unten kommt noch eine Rechtsbehelfsbelehrung dazu: Wenn Ihnen Ihr Geld dazu nicht reicht, können wir Ihnen eine Bank empfehlen, die Ihnen Kredit gibt.

In faktisch allen Ländern bedeuten Steuerreformen nichts Gutes. Meist dienen sie nur dazu, die Kühe noch effektiver als bisher zu melken, nicht selten halten sie nur ein Jahr – das der Neuwahlen. Wo auf der einen Seite entlastet wird, nimmt der Fiskus mit der anderen Hand meist mehr, als er zugestanden hatte. Wichtig ist dabei, daß die Bürger die Belastungen immer erst etwas später mitbekommen als die Entlastungen. So folgt der Einkommen- und Lohnsteuerentlastung alsbald die Anhebung der Mehrwertsteuer, doch die merkt man nicht sofort und auch dann nur in kleinen Portionen: Ware für Ware.

Das allerdings gibt vielen Bürgern wiederum die Möglichkeit, ihrerseits im Gestrüpp der Paragraphen allerhand Nichtdeklariertes zu verstecken. Und so gehört das Räuber- und Gendarm-Spiel zwischen Steuerbehörden und Steuerhinterziehern seit Jahrhunderten zum beliebtesten Sport der Nationen.

Drolligerweise müßten allerdings in vielen Fällen die Jäger eigentlich gleichzeitig auch die Gejagten sein: Parteien, die zwecks Wählerfangs für harte Strafen gegenüber Steuerhinterziehern eintreten und die gleichzeitig mit ihren Waschanlagen Millionen selbst hinterziehen; Richter und Beamte, die ihre Fahnder zu kleinen Handwerkern filzen schicken und ihre eigenen Nebenjobs höchst einfallsreich am Fiskus vorbeilotsen. Noch mehrwürdiger ist allerdings, daß sich die Bürger das alles überwiegend widerspruchslos gefallen lassen. Soviel auch gestreikt wird – gegen überhöhte Steuern, die immer weiter verschlechterten Dienstleistungen des Staates gegenüberstehen, hat es seit der Französischen Revolution nirgendwo mehr einen nennenswerten Aufstand gegeben. Und willig nehmen wir auch hin, daß wir uns im Steuerdschungel nur noch mit Hilfe teurer Steuerberater zurechtfinden. De Gaulle hatte wohl deshalb mit seinem „Vereinfachungs“-Coup soviel Erfolg, weil die Menschen sich genau das wünschen: ein durchschaubares Steuersystem. Geronimo Bernardis

Der Autor ist Publizist und spezialisiert auf internationale Steueraffären