Denunzianten wählen 117

Wem in Italien das Haus oder die Luxuslimousine des Nachbarn stinkt, der kann ihn telefonisch bei der Steuerfahndung anzeigen – kostenlos  ■ Aus Rom Werner Raith

Am Anfang hatte Gabriele Borghese, Hauptmann im Dienste der „Guardia di finanza“, die Sache gar nicht schlecht gefunden: eine Telefonnummer, über die der Steuerfahndung kostenlos mutmaßliche Steuerhinterzieher angezeigt werden. „Mehr als fünftausend telefonische Anzeigen liefen im ganzen Land schon am ersten Tag ein“, erinnert sich der Beamte, „dann stabilisierte sich die tägliche Quote auf etwa tausend bis tausendfünfhundert.“ Viele Anzeigen betrafen Hausbesitzer, die nach Ansicht ihrer Nachbarn gar kein Geld zum Bauen haben konnten, Geschäftsleute, die trotz minimaler Steuerzahlung große Autos fuhren oder ansehnliche Yachten besaßen, Angestellte, die nebenbei schwarz arbeiteten.

Die Aktion begann vor gut vier Wochen, die Rufnummer 117 mußte rund um die Uhr besetzt werden, um alle Anrufe entgegenzunehmen. Die Steuereintreiber rieben sich die Hände, soviel Geld sahen sie schon in die staatlichen Kassen fließen. Doch während einer Überprüfung bei einem Metzgermeister klingelte das Handy des Hauptmanns – dran war seine Frau. Kollegen waren ins Büro ihres Vaters eingedrungen – der Grund: Ein Denunziant hatte dem Mann Hinterziehung angehängt, und zwar gleich in Höhe mehrerer Milliarden Lire (eine Milliarde Lire = eine Million Mark).

Hauptmann Borghese kippte aus den Socken, „mein Schwiegervater hält sich mit seinem Antiquitätenladen grade mal so über Wasser, meist müssen wir ihm am Monatsende ein paar Hunderttausendlirescheine zustecken, damit er über die Runden kommt.“ Doch da war nichts zu machen. Der Anrufer hatte sogar Fotokopien von angeblich nicht versteuerten Rechnungen in beträchtlicher Höhe aus dem Geschäft des Schwiegervaters geliefert. Hauptmann Borghese war ratlos: Hatte der Alte ihn angeschmiert?

Zu Hause kam es zur Ehekrise, weil der Beamte nicht ganz so treu zum Schwiegervater stand, wie es die Frau Gemahlin forderte. Der Gefilzte selber konnte wenig zur Erhellung beitragen – er hatte einen Schlaganfall erlitten und lag im Krankenhaus.

Vor einer Woche kam Entwarnung. Eine der Rechnungen war tatsächlich korrekt, aber es hatte sich um einen Zwischentransfer gehandelt, bei dem das Geschäft nichts verdient hatte; die zweite Kopie betraf offenbar einen anderen Antiquar oder war gefälscht, und die dritte war kaum leserlich, also auch nicht verwertbar. „Doch daß derlei Manipulationen öfter vorkommen als man annehmen möchte“, meint Hauptmann Borghese nun, sei „ganz und gar nicht auszuschließen.“

Also recherchiert er seither wesentlich intensiver, bevor er seine Durchsuchungstrupps losschickt. „Und vor allem ziehe ich erst mal Erkundigungen über den Denunzianten ein.“ Ist der etwa ein Geschäftskollege, nimmt Hauptmann Borghese sich erst mal dessen eigene Steuererklärungen vor. Handelt es sich um die geschiedene Ehefrau des Denunzierten, redet er ihr ins Gewissen. Und sind die Anzeigen gar anonym, wirft Borghese sie nun gleich in den Papierkorb. „Mindestens 30, 40 Anzeigen pro Tag“, so hat er inwzischen über Kollegen herausgefunden, „werden von Familienmitgliedern der Angezeigten eingeschickt – von Brüdern, Vettern oder von ehemaligen Geliebten oder Liebhabern.“

Dennoch meint Borghese, daß sich die Aktion lohnt – „immerhin kriegen auch die schlauesten Hinterzieher jetzt Angst. Vorher waren sie sich relativ sicher, jetzt könnte es sein, daß sie aufgrund der einfachen Anzeige eines Nachbarn auffliegen.“

Für seine Familie hat der Hauptmann vorgesorgt. Stets stehen drei dicke Ordner mit der „gesamten Dokumentation unserer Einkommen und Ausgaben griffbereit – für alle Fälle“. Denn manche Kollegen, das weiß Borghese, legen noch immer keine Samthandschuhe an und „rennen jeder Anzeige voller Glaube und Eifer hinterher – Hauptsache, sie können eine Wohnung durchsuchen“.