Der Berliner Anti-Pate

Klaus Böger will Berlins SPD reformieren. Das ist schwer  ■ Von Mechthild Küpper

Klaus Böger muß heute früh aufstehen und seinen Leuten sagen, daß es so nicht weiter geht. Wenn er nicht im richtigen Moment das Wort ergreift, wenn es ihm mißlingt, die Delegierten des Landesparteitages zu überzeugen, dann hat er verloren, und es wird gleichgültig sein, ob die Berliner SPD die Große Koalition verläßt oder ob sie noch eine Weile als Juniorpartner der Regierung weiterjobben wird.

Klaus Böger ist 51 Jahre alt, nur wenig jünger als der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und der Fraktionsvorsitzende Klaus Rüdiger Landowsky. Er ist, wie die beiden Berliner CDU-Matadoren, im besten 68er Alter. Anders als das erfolgreiche konservative Zweigespann hat es Böger mit Parteifreunden zu tun, die gar nicht so sicher sind, ob sie das Schicksal Berlins als Akteure gestalten oder es lieber von den billigen Plätzen der Oppositionsbank aus beobachten wollen. Vor einem Jahr hatte Klaus Böger es schwer, die Parteitagsdelegierten in die verhaßte Große Koalition zurückzutreiben.

Böger kommt aus dem bürgerlichen Stadtteil Steglitz. Er ist Westberliner. Und er ist der Abwickler Westberlins. Das schadet ihm in den alten politischen Milieus der Mauerstadt - und auch beim Parteivolk der ehemaligen Hauptstadt nützt es ihm nichts. Denn dort glaubt man kaum, daß ein Mitglied des alten Establishments dessen Liquidation betreibe. Einsicht in die Notwendigkeit, das war zu oft die Floskel, mit der die Bonzen dem Volk sagten, wo es langging. Der SPD Ostberlin mangelt es an Leuten, die Lust auf Neuerung haben. Sie kritisieren die DDR, mit der Entwicklung seit der Wende sind sie nicht einverstanden, aber sich ins Getümmel zu werfen und die neuen Verhältnisse mitzugestalten, das mögen sie nicht. Opfer sein ist für Sozialdemokraten ein Zustand kurz vor der Seligkeit.

Sozialdemokrat Böger bewundert an der CDU vor allem den „Willen zur Macht“ und die unbedingte Loyalität, die sie ihren Leitfiguren immer dann zeigt, wenn Kritik von außen kommt. Darauf kann er nicht zählen. „Ich habe überhaupt keine Angst“, sagt Böger, „in mir ruht ein Wissen, eine Vision von sozialer Demokratie“. Dann zählt er die Fallstricke auf, die seinen Weg begleiten. „Ich brauche ein Maß an Freiheit, das ich nicht immer habe“. Die SPD liebt es, ihre Spitzenleute in einen Kokon von Rücksichtnahmen und Absprachen zu binden, der sie lähmt oder in autoritäres Verhalten hineintreibt, das ihnen nie vergeben wird. Manche Pappenheimer verarbeiten ihre antiautoritäre Prägung so, daß sie noch als reife Herren niemanden vehementer als die eigene Parteiführung attackieren und konstruktive Vorschläge eher für sich behalten. Bögers Ziel, „ein Team zu mobilisieren, das es satt hat, Mißerfolge zu haben“, könnte am Mangel an interessiertem Personal scheitern.

Das Leben hat Klaus Böger seltsam plaziert: Gegen den Widerstand des hartgesottenen Weddinger SPD-Bezirksbürgermeisters Hans Nisblé und des smarten ÖTV-Vorsitzenden Kurt Lange kämpft er jetzt häufig Schulter an Schulter mit CDU-Innensenator Jörg Schönbohm für eine Bezirksgebietsreform. Der Moderator einer Veranstaltung tituliert ihn versehentlich, aber nicht zufällig, als Senator. Klaus Böger besitzt die Aura eines Verantwortungsträgers. „Der General und ich“, das sagt er mit selbstironischer Genießermiene. Er sieht das Kuriose am doppelten Lottchen Böger-Schönbohm und er mag es, zum Establishment zu gehören. Das macht ihn interessant. Macht es ihn wählbar?

Daß die politische Rollenverteilung ihm überhaupt zumutet, mit dem ÖTV-Mann in einem Boot zu sitzen, gehört zu den Berliner Verrücktheiten. Denn längst fand der Chef des öffentlichen Dienstes einen mächtigeren Verbündeten als die Sozialdemokratische Partei: die CDU. Als es um die Fusion Berlin-Brandenburg ging, wenn um Personalabbau im öffentlichen Dienst gestritten wird, wenn es den Bezirken, diesen Machtbastionen der alten Mehrheiten, an den Kragen soll, immer ist Landowsky an der Seite der Klasse, die in den alten, subventionssatten Tagen so behaglich lebte. Also tendentiell aller Westberliner.

Die alte Arbeiterbewegungssolidarität zwischen SPD und Gewerkschaften ist nicht offiziell gekündigt, aber sie gehört nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten. Landowsky hütet, seit die Mauer fiel, den schlechten Status quo, und Böger kämpft an zwei, drei oder vier Linien gleichzeitig. Er muß gegen den Koalitionspartner CDU Profil gewinnen, damit die nächste Wahl die SPD nicht wieder in die Große Koalition zwingt. Er muß der ÖTV die Gefolgschaft aufkündigen, damit sie nicht der Klotz am Bein der SPD bleibt, der sie hindert, die Verwaltung Berlins zu modernisieren. Und er muß sich der Parteifreunde erwehren, die wie der Weddinger Bezirksbürgermeister immer noch dafür kämpfen, daß Westberlin in den politischen Strukturen Großberlins weiterlebt, obwohl es keine Geschäftsgrundlage mehr dafür gibt.

Bögers Refrain geht so: „Das Volk ist längst weiter als die Funktionäre. Wir wurden gewählt, um Entscheidungen zu treffen. Schluß mit dem Zerreden. Her mit den Beschlüssen. Am Wahltag gibt's das Honorar für den, der Mut hatte.“ Er könnte recht haben. Es könnte aber auch das Pfeifen im Walde sein, ehe die SPD vollends zwischen CDU und PDS und Grünen verschwindet.

Explizit hat er es nicht gesagt, aber sein ganzer Habitus läuft darauf hinaus: Klaus Böger will Klaus Rüdiger Landowsky mit dessen eigenen Mitteln schlagen. Die Fraktion soll zum Kernzentrum der Macht werden, ihr Vorsitzender möchte als graue Eminenz wirken. Nur hat Böger keinen Diepgen als Frontmann, sondern eine Annette Fugmann-Heesing. Die hat sich zwar als rigorose Spar-Finanzsenatorin Respekt verschafft. Doch ob ihr Zeit bleibt, im Abwehrkampf gegen die Besitzstandswahrer in CDU und SPD und unter den tatsächlichen Härten der Berliner Haushaltskonsolidierung landesmütterliche Charakterzüge zu entwickeln oder ob sie als Geschlagene vom Berliner Feld gehen wird, ist eine offene Frage.

Als Stimme der Vernunft zu wirken und die partikularen Interessen insgesamt in ihre Schranken zu drängen, das ist in krisenhafter Situation ein riskantes Projekt. Böger tut, was Landowsky für seine „Großstadtpartei“, die Berliner CDU, in den 80er Jahren beanspruchte: Konservative führen die Revolution von oben durch. Für die CDU hat es funktioniert. Sie regiert Berlin seit Anfang der 80er, weil sie moderat sozialdemokratisch und ausgleichend agiert, nicht weil sie streng nach konservativem Textbuch handelt. Diepgen weiß das, Landowsky organisiert das. Ob Bögers Verbündete, die betriebswirtschaftlich geschulte Intelligenz des Dienstleistungssektors, schneller nachwachsen als die Industriearbeitsplätze und das im Grunde sozialdemokratisch gestimmte Milieu mit ihnen verschwinden, das weiß weder er noch irgend jemand.

Die SPD, die Delegierten auf Landesparteitagen zumal, ist ein bunter Haufen, der sich nur um Mitternacht und fünf nach zwölf auf eine Position einschwören läßt. Vor einem Jahr kandidierte eine Dame für den Landesvorstand, die dort dafür sorgen wollte, daß die Berliner SPD ihre Wahlniederlage nicht rasch vergesse. Böger will das Gegenteil, und er will am Wahlsonntag im Jahre 1999 eine SPD, die Lust an der Mehrheit hat.

Machtausübung ist den meisten SPD-Funktionären suspekt, Machtblockade heißt das Spiel, das sie als Delegiertenvolk meisterhaft spielen. Berlin will Vermögen verkaufen? Sich sogar ganz vom Stromunternehmen Bewag trennen? Nicht doch, man könnte doch fortschrittliche Energiepolitik betreiben, wenn man die Bewag behielte, wenn man an der Regierung wäre und wenn man ein Konzept hätte. Bezirksgebietsreform? Warum nicht erst eine Reform der Verwaltung? Sparen? Warum nicht erst über neue staatliche Leistungen diskutieren? Und so werden Vorschläge nicht diskutiert, sondern als „von oben“ kommend so lange kleingemahlen, bis jeder froh ist, wenn die Berliner SPD nicht beschließt, für das Gute und gegen das Böße zu sein.

Böger? Tüchtiger Mann. Aber etwas zu ungeschmeidig. Nicht volkstümlich. Zu intellektuell. Daß Böger zu den wenigen interessanten SPD-Figuren in Berlin gehört, darüber herrscht Einigkeit. In der Presse kommt er gut weg. Aber im Fernsehen, auf Parteitagen oder Podiumsdiskussionen wird sein Handicap offensichtlich. Er kommt nicht gut rüber. Immer wieder sieht man diesen hochgewachsenen Pfeifenraucher in der Kleidung anglophiler Gebildeter, die Lesebrille unten auf der Nase, die Stirn gerunzelt, und körpersprachlich teilt er mit: Mir ist das Niveau hier zu niedrig, aber ich will mal nicht so sein und es euch noch einmal erklären. „Er leidet darunter, daß zu viel geredet und zu wenig entschieden wird“, sagt der SPD-Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki. Böger formuliert es schärfer: „Es macht mich irre, immer neue Gründe zu hören, warum alles so bleiben muß.“ „Er will, daß die Stadt vorankommt. Seine Leidensfähigkeit ist ganz schön gefordert“, sagt Dzembritzki, der schwache Landesvorsitzende, und meint damit zweierlei: Böger soll die SPD aus der Fraktion heraus reformieren. Und er ist ziemlich allein dabei. „Mit der Fraktion setzen wir sozialdemokratische Politik um.“ Sagt der Landesvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Berlins.