Der Präsident auf verlorenem Posten

Slobodan Milošević taktiert weiter. Doch an einer Anerkennung der Kommunalwahlergebnisse kann er kaum noch herumkommen. Selbst Wirtschaftsbosse verlangen Nachgiebigkeit  ■ Von Georg Baltissen

Berlin (taz) – Die serbische Gerüchteküche kocht. In Belgrad werden in diesen Tagen die vielfältigsten Angebote aufgetischt, Finten und Finessen inklusive. Mal heißt es, Serbiens Präsident Slobodan Milosevic sei zu Zugeständnissen bereit. Kurz darauf folgt das Dementi. Mal erkennen Gerichte den Erfolg der Opposition bei den Kommunalwahlen an. Dann wieder stellt sich, wie jetzt in Niš, die staatliche Wahlkommission quer und verlangt dennoch Nachwahlen. Inmitten dieses Gemischs aus Chaos und Verwirrung versucht Milošević weiterhin auf Zeit zu spielen. Aber je länger er mit der Anerkennung der Wahlergebnisse und der OSZE-Empfehlungen wartet, desto enger wird sein tatsächlicher Manövrierraum und desto machtvoller die Opposition. Den 55. Demonstrationstag am serbischen Neujahrsfest hat die Koalition Zajedno gestern abend zu ihrem bislang größten Auftritt genutzt.

Die Anerkennung der oppositionellen Wahlsiege in Lapovo, Niš und Vršac in der vergangenen Woche waren als Köder allzu dürftig, um die Opposition zum Anbeißen zu verleiten. Zajedno hat die geschlossene Unterstützung des Auslandes hinter sich. Und braucht sich deshalb nicht mit weniger als der Anerkennung all ihrer Wahlsiege zufrieden zu geben. Selbst der griechische Außenminister, der als Freund des Regimes kam, verlangte von Milošević unmißverständlich, die OSZE-Empfehlungen sofort und in vollem Umfang umzusetzen. Und der Präsident der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro, Momir Bulatović, forderte gestern ebenfalls die Anerkennung der OSZE-Vorschläge. In der Zeitung Blic sagte er, diese seien „für die Regierung in Serbien äußerst günstig“. Milošević aber pokert weiter. Die Forderung der Studenten nach Absetzung des Rektors und seines Stellvertreters will er angeblich erfüllen. Doch die Taktik, die Studenten von der Opposition zu spalten, ist allzu durchsichtig. Ohne den „Diebstahl der Stimmen“ rückgängig zu machen, wird er auch die Studenten nicht von der Straße in die Hörsäle locken können.

Während die Opposition mit friedlichen und phantasievollen Happenings den Druck auf das Regime aufrechterhält, berichten Belgrader Zeitungen von einem Machtkampf in der Sozialistischen Partei. Danach sollen alle Hardliner, die auf die Niederschlagung der Proteste gedrungen haben, von ihren Funktinen entbunden werden. Dann aber müßte Milošević auch seine Frau Mirjana Marković, die Vorsitzende der Jugoslawischen Linken, politisch kaltstellen müßte. Sie aber ist ein tragender Pfeiler seiner Herrschaft. Im Grunde kehrt jeder Schritt, den der Präsident unternimmt, als Bumerang zu ihm zurück. Gibt er nach, schwindet seine Macht im Partei- und Staatsapparat. Gibt er nicht nach, schwillt der Protest an, drohen Isolation und finanzieller Druck aus dem Ausland.

Die Nachzahlung der Gehälter an die rund 80.000 Milizsoldaten und die Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten der großen Fabriken, die Milosevic neue Sympathie bringen sollten, hat auf dem Schwarzmarkt den Wert des jugoslawischen Dinars um satte 20 Prozent abstürzen lassen. Einer der angeblich reichsten Männer Serbiens, der Milošević-Freund, Banker und Medienmagnat Bogoljub Karić, hat den Präsidenten erstmals öffentlich kritisiert. In einem Zeitungsinterview nannte er die Handhabung der Krise durch Milošević schlicht „dumm“ und „kontraproduktiv“. Er beklagte finanzielle Einbußen, weil ausländische Firmen Verträge neu aushandeln wollten oder Kredite nicht verlängerten. Karić sagte voraus, daß Milošević die Wahlergebnisse anerkennen und den staatlichen Zugriff auf die Massenmedien aufgeben werde. Der Präsident steht auf verlorenem Posten.