piwik no script img

Primitivismus aus erster Hand

Schwarze Modelle, nervöse Formen: Auch Irma Stern fühlte sich vom Exotismus angezogen. Trotzdem sind die Bilder der in Südafrika aufgewachsenen Expressionistin dem Leben näher. Ihr Werk wird jetzt wiederentdeckt  ■ Von Gerlinde Volland

„O dies Gemisch von Schönheit und Barbarentum“, seufzte die Malerin Irma Stern angesichts ihrer schwarzen Modelle. Ein charakteristischer Zug ihres Werkes ist der Exotismus ihrer Zeit, der auch sie zwischen Ressentiments und Idealisierung schwanken ließ. „Ich gehe zu den ,Wilden‘ und werde wohl dort kultivierte Menschen treffen“, heißt es an anderer Stelle. Irma Stern (1894-1966), deutschstämmige Südafrikanerin aus einer jüdischen Familie, war eine Künstlerin voller Widersprüche, die jetzt in der Kunsthalle Bielefeld neu zu entdecken ist.

1996 war ein Jahr des Expressionismus. Große Überblicksausstellungen und Retrospektiven einzelner Künstler fanden in der ganzen Republik statt. Überraschungen waren dabei selten – außer eben die Arbeiten Irma Sterns. In ihrer Heimat Südafrika gilt die Künstlerin als Botschafterin der europäischen Kunst, immerhin hatte sie dort nach dem Ersten Weltkrieg den Expressionismus etabliert. In ihrem ehemaligen Wohnhaus in Kapstadt wurde nach ihrem Tod ein Museum eingerichtet. Hier ist nicht nur ein großer Teil ihres Werkes zu sehen, sondern auch ihre ethnographische Sammlung. Obwohl ihr zu Lebzeiten auch in Europa regelmäßig Ausstellungen gewidmet waren – London, Paris, Wien, Amsterdam sind nur einige der Stationen –, blieb sie in Deutschland weitgehend unbekannt.

Irma Stern wurde 1894 als Kind wohlhabender deutscher Einwanderer in Transvaal geboren. Ihre Schulzeit verbrachte sie wegen des Burenkrieges überwiegend in Berlin. 1913 begann sie ihr Studium an der Großherzoglichen Kunstakademie in Weimar, wo es, anders als in anderen Akademien, eine Frauenklasse gab. Ein Jahr später ging sie nach Berlin zurück. Dort lernte sie 1916 Max Pechstein kennen, mit dem sie eine künstlerisch fruchtbare Freundschaft verbinden sollte. Stern machte Pechstein (dessen malerisches Werk noch bis zum 6. April in der Kunsthalle Tübingen zu sehen ist) mit der südafrikanischen Kulturgeschichte bekannt. Er wiederum bestärkte die junge Künstlerin in ihrer Hinwendung zum sogenannten Primitivismus, also zur Kultur der Schwarzen in ihrem Land.

In Irma Sterns Frühwerk sind die Gemälde formal zwar beeinflußt von den Arbeiten der deutschen Expressionisten. Sie drücken jedoch, so die Initiatorin der Ausstellung, Irene Below, eine andere Einstellung zu den Schwarzen aus: weniger Distanz und Fremdheit, mehr Verständnis und Einfühlung – aufgrund ausgedehnter Reisen und der engen Kontakte in ihrer Heimat Südafrika. Below betont, daß die Malerin etwa den kulturellen Status der „Swazi-Mädchen“ (1931) hervorhebe, indem sie sie mit Musikinstrumenten oder anderen kulturellen Symbolen darstelle. Dagegen sieht Neville Dubow, Direktor des Irma- Stern-Museums in Kapstadt, auch die Stereotypen, die sich besonders in den Gemälden der zwanziger Jahre niedergeschlagen haben: Da türmen sich auf Hochformaten dunkelhäutige Figuren, die tanzend oder während einer Jagdpause gezeigt werden. Deutlich sind die nervös-bewegten, eckig- zackigen Formen der Brücke-Maler zu erkennen.

In den dreißiger Jahren werden die Gesichter der Afrikanerinnen runder, bis die Künstlerin in den vierziger Jahren zu individuellen Porträts findet. Wenn man jedoch Individualität als Maßstab für den Grad der Anerkennung der „anderen“ nimmt, stellt sich die Frage, inwiefern Individualismus überhaupt einen Wert in traditionellen Gesellschaften darstellt. Dieses Problem zeigt, wie schwierig eine angemessene Beurteilung der Künstlerin Irma Stern ist.

Die Ambivalenz ihrer Position und ihrer Sichtweise wird in Ausstellung und Katalog recht deutlich. Die Präsentation ermöglicht einige interessante Vergleiche, etwa wenn eine Landschaft mit zwei liegenden Frauenakten (1928) mit dem Porträt zweier Araber von 1938 konfrontiert wird: hier die erdverbundenen Frauenkörper, dort die Köpfe der orientalischen Männer am Fenster über den Dächern einer Stadt. Afrikanische Mädchen mit Früchten, Männer von Madeira im Fleischerladen: Sind solche Zuordnungen Zufall, oder stehen dahinter mythologische Vorstellungen von lebensspendender Weiblichkeit und todbringender Männlichkeit?

Zwischen Exotismus und Einfühlung, zwischen Vorurteil und Parteilichkeit für „die anderen“ schwanken die Bilder Irma Sterns. Mitunter überwiegt die Darstellung gesellschaftlicher Mißstände: Eindringlich zeigt ein Gemälde aus dem Besitz der Kunsthalle Bielefeld das Bildnis einer blinden Bettlerin, deren Gesicht aus einem dunklen Umhang hervorsticht. Ihre Hand streckt den BetrachterInnen einen weißen Teller entgegen. Die Gegenüberstellung von „Swazi-Mädchen“ (1931) und einer „Kongo-Gruppe“ von 1946 wiederum offenbart die Evolution von Sterns Malweise: Von ihrem anfangs dünnen Farbauftrag bis zu den pastosen Pinselstrichen ihres späteren Werkes wird sie immer freier und temperamentvoller, bleibt jedoch am Gegenstand.

Obwohl die Bielefelder Ausstellung nicht beansprucht, eine Retrospektive zu sein, kann sie einen ersten Eindruck von der Themenvielfalt der vielgereisten Malerin vermitteln. Leider ist die Hängung nicht chronologisch und das zugrunde liegende System nicht leicht zu erschließen. Aber die ausgestellten Zeichnungen, Skizzen und Gemälde ermöglichen zusammen mit einer Videoinstallation der ebenfalls aus Südafrika stammenden Künstlerin Liz Crossley einen Einblick in Leben und Werk der Malerin. Vielleicht kann dieser aktuelle Bezug dazu beitragen, daß Irma Stern auch in Deutschland in den Kreis der etablierten Expressionisten aufgenommen wird.

„Irma Stern und der Expressionismus“. Bis 9. Februar in der Kunsthalle Bielefeld. Katalog 49 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen